Am 28.9.2015 hielten in zeitlich kurzen Abständen nacheinander der US-amerikanische Präsident Barack Obama sowie der Präsident der Russischen Förderation Wladimir Putin viel beachtete Reden vor der 70. UNO-Vollversammlung. Inhalt wie sprachliche Mittel dieser Vorträge geben einen aufschlussreichen Blick auf die politischen Prozesse in beiden Staaten und die Sicht ihrer Führer auf das globale Geschehen dieser Tage. Und nicht weniger bezeichnend war die Art, wie diese Reden in den deutschen Leitmedien verbreitet und bewertet wurden. Daraus ergibt sich die interessante Aufgabe einer tieferen Analyse beider Reden und deren Einordnung in die gesellschaftlichen Prozesse, welche gewichtig auf den Wandel einer US-geführten unipolaren Welt hin zu einer multipolaren Welt hindeuten.


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Putin und Obama bei der 70.UN-Vollversammlung 2015 in New York [b1]

Der 28.September 2015 könnte als außerordentlich bedeutsam in die Geschichte eingehen. Die 70.Vollversammlung der Vereinten Nationen war eröffnet und sowohl der Präsident der Vereinigten Staaten von Amerika wie auch der Russische hatten sich höchstselbst angekündigt, um für ihre Staaten zu sprechen. Obwohl angesichts der weltpolitisch brisanten Lage (beispielhafte Stichworte: Jemen, Syrien, IS, Afghanistan, Ukraine), jedem halbwegs politisch Eingeweihten die Bedeutung dieser Reden schon im Vorfeld völlig klar war, wurden in den Tagen danach diese Reden von nicht einem einzigen deutschen Leitmedium als Original (mit Übersetzung) veröffentlicht, weder die von Obama noch die Putins. Statt dessen wurden deren Worte selektiv (und damit aus dem Zusammenhang gerissen) zitiert und bewertet.  

Das lässt leider nur den Schluss zu, dass man dem Publikum in Deutschland eine eigene objektive Bewertung weitestgehend versuchte, vorzuenthalten. Wenige Tage nach den Reden beider Staatsmänner habe ich selbige in diesem Artikel quasi nebeneinander gestellt, um jedem Interessierten die Möglichkeit zu geben, sich vorurteilsfrei ein eigenes Bild machen zu können. Vielleicht ist es für den geneigten Leser sinnvoll, dort beide Reden erst einmal zu studieren, bevor er sich diesem Aufsatz hier weiter widmet.

Sorgfalt und Achtung

Was zuerst auffiel, waren die deutlich differierenden Redelängen, wonach sich mir die Frage stellte, ob Obama inhaltlich tatsächlich so viel mehr zu sagen hatte als Putin. Und eine weitere Frage stellte sich mir: Gibt es nicht festgelegte Redezeiten, an die sich jeder Sprecher vor dem Plenum der UN-Vollversammlung zu halten hat? Die Deutsche Presseagentur (dpa), deren Auftrag es (nach meinem Verständnis) ist, Nachrichten zu übermitteln statt sie zu bewerten, schrieb dazu Folgendes:

„Obama ist ein geübter Redner in New York. Jedes Jahr spricht er zu den Delegierten, immer viel länger als erlaubt. Doch während ihn in seinen ersten Amtsjahren noch tosender Applaus empfing und er immer wieder von Beifall unterbrochen wurde, gab es im letzten Jahr nur höfliches Klatschen. Zwischenapplaus: Null.
Und Putin? Der war vor genau zehn Jahren das letzte Mal in der Generaldebatte, in der jedes Land 15 Minuten über die Themen seiner Wahl sprechen kann. Doch so sehr die Besetzung der Krim im vergangenen Jahr viele Partner entsetzt hatte; Moskau hat nach wie vor enge Verbündete in den UN.“ [1]

Aus diesem Zitat können wir Mehreres entnehmen. Erstens lieferte also auch die dpa nicht die Originalreden der Politiker an sich, geschweige denn eine übersetzte Version. Das ist insofern bemerkenswert, als die Bereitstellung von Informationen respektive derer Übersetzung doch eine der Kernaufgaben dieser 1200 Mitarbeiter starken Agentur darstellt. Stattdessen wurde ein bewertender Bericht, eine Analyse angeboten, die von den Medien teilweise ohne weiteres Redigieren einfach übernommen wurde. In einer kurzen Recherche fand ich den Text bei Yahoo [1] und der Süddeutschen Zeitung [2], in der Münchner Abendzeitung [3] und in „Die Welt“ [4]  und keines der Häuser veröffentlichte die Reden im Original.

Das hat natürlich auch etwas mit Kostengründen zu tun, denn die eigene Recherche und redaktionelle Bearbeitung verlangt einen durchaus nennenswerten Aufwand. Den sparen sich die Medienhäuser, in dem sie vorgekaute und vielfach ohne weitere Prüfung eingekaufte Berichte und Analysen in ihren Blättern, Sendern und Online-Plattformen veröffentlichen. Journalisten und Redakteure wurden erst gar nicht mit den Originaltexten konfrontiert und sie sind es inzwischen wohl gewohnt, das einfach zur Kenntnis zu nehmen und auf die eigene aufwändige Recherche zu verzichten. Billig ist das Motto und dabei bleibt die Qualität auf der Strecke. So kann eine vielfältige Medienlandschaft nicht bestehen und das Ergebnis ist allenthalben für den Rezipienten leidvoll zu erfahren.

Kommen wir aber zurück zum Zitat. Und wie es um die Achtung höchster Politiker der USA gegenüber dem höchsten Gremium der Staatengemeinschaft, den Vereinten Nationen bestellt ist, lässt sich erahnen, wenn man liest, dass diese es offenbar für normal halten, die Regeln des Plenums permanent zu missachten. Für manch Einen mag dies den Wert einer Randnotiz besitzen, doch allein dieser Fakt ist ein wichtiger Hinweis zum Selbstverständnis von Gesellschaften. Der US-Präsident spricht jedes Jahr vor der Vollversammlung und jedes Jahr überzieht er die verbindliche Redezeit, im Jahre 2015 sprach er mehr als doppelt solange, als es jedem Redner zugestanden wird. Damit zeigte er der Weltgemeinschaft nichts anderes, als dass die USA als Hegemon die Regeln definieren und es ihnen schlicht egal ist, ob das Forum damit einverstanden ist oder nicht, was übrigens unsere Medien in keiner Weise störte.

Ganz anders war das Echo westlicher Medien natürlich, wenn Politiker bestimmter(!) anderer Staaten sich solche Disziplinlosigkeiten leisteten, denken wir nur an Politiker wie Fidel Castro (der es 1960 allerdings auch auf über vier Stunden brachte), Muamar al Gadaffi oder Mahmud Ahmadinedschad. Dabei ist die durchschnittliche Redezeit vor der Vollversammlung auf 35 Minuten angewachsen [5] aber warum „hacke“ ich so auf diesem Thema herum?

Weil im Vergleich dazu der in den Massenmedien des Westens pausenlos und unsäglich als unberechenbar und machtgierig dämonisierte Putin auch diesbezüglich anders, achtungsvoller und damit bescheidener auftrat: Zehn Jahre war es her, dass Russlands Präsident zum letzten Male vor dem höchsten UN-Gremium gesprochen hatte und beide Male tat er das Selbstverständliche, er hielt sich an die Regeln und das schließt eine maximale Redezeit von 15 Minuten ein. So wie sich das gehört, wenn kooperative Gemeinschaften gemeinsam verbindliche Regeln erschaffen haben.

Schwierigkeiten mit der Realität und ein Blick auf die Geschichte

Bestimmte Menschen und aus ihnen resultierende Gruppen, welche in machtbasierten Systemen die Spitze erklommen haben, halten sich – und zwar voll innerer Überzeugung – für etwas Besonderes, etwas Unverzichtbares und Göttliches. Sie sind der Mittelpunkt und sonnen sich im Gefühl ihres Auserwähltseins. Man nennt das Arroganz der Macht und die von den Machtbewussten verwendete Sprache entlarvt ihr Denken. Die Auserwählten schaffen sich ihre eigene Wahrheit und bedienen so ihre Unfehlbarkeit. Fehler unterlaufen ihnen nicht, pausenlos sind sie am Gestalten und Kontrollieren, ob die (nur zu ihrem Besten natürlich) Unterworfenen auch konsequent die zugewiesene Rolle im Programm spielen, welches die Mächtigen ihnen als göttliche Gnade zudachten.

Wer diese Worte als zynisch empfindet, liegt richtig. Allerdings denken die Machtbewussten an der Spitze zu großen Teilen eben tatsächlich so, zynisch! Viele Menschen wollen nicht wahrhaben, dass eine erkleckliche Anzahl von Psychopathen und Soziopathen in den auch als Eliten bezeichneten Kreisen aus Wirtschaft, Politik, Finanzen und Denkfabriken in den USA das Sagen haben und so die Geschicke einer ganzen Nation und leider auch der Weltgemeinschaft maßgeblich bestimmen. Auch wenn es falsch wäre, daraus zu schließen, dass Barack Obama ein Psychopath ist (aus meiner Überzeugung ist er es definitiv nicht), ist nicht zu übersehen, dass er ohne Zweifel von deren Denken stark beeinflusst ist. Das erkennt man recht schnell an der angewandten Sprache. Im Eingangsteil seiner Rede sagt Obama u.a. das:

„Dieses kollektive Unterfangen hat die diplomatische Zusammenarbeit der großen Weltmächte möglich gemacht und eine Weltwirtschaft gestützt, die mehr als eine Milliarde Menschen aus der Armut befreit hat. Diese internationalen Prinzipien haben größere Länder daran gehindert, kleineren ihren Willen aufzuzwingen, und Demokratie, Entwicklung und persönliche Freiheit auf allen Kontinenten gefördert.“

Die selektive Aussage über einer Milliarde aus der Armut befreiter Menschen ist schon diskussionswürdig, verschweigt ihr Hohelied auf die (aus Ausbeutung und Ungleichheit basierender) Marktwirtschaft doch, dass mehr Menschen als je zuvor in tiefster Armut um ihr Überleben kämpfen. Und noch immer leiden über 900 Millionen Menschen Hunger [6].

Welche internationalen Prinzipien aber welche größeren Länder daran gehindert hätten, Kleineren ihren Willen aufzuzwingen, diese Behauptung wird Obama kaum belegen können, vielmehr zeugt sie von einer gestörten Wahrnehmung der Wirklichkeit. Ist es doch gerade sein Land, das seine Machtposition mit allen zur Verfügung stehenden Mitteln ausnutzte. Staaten, die sich dem Wirtschafts- und Finanzdiktat seines Landes widersetzten, wurden auf vielfältige Weise „gefügig“ gemacht; über sanften politischen Druck, Korruption und Erpressung, aktive Infiltration und Destabilisierung durch Geheimdienste, Nichtregierungs-Organisationen (NGOs)  und soziale Netzwerke [7], bis hin zu Sanktionen und verdeckter wie offener militärischer Gewalt. Die resultierenden Opferzahlen gehen in´s Unermessliche und werden nach konservativen Annahmen auf sechs bis zehn Millionen seit Beendigung des Zweiten Weltkrieges geschätzt. [8] [17]

Doch zeigen die einführenden Sätze der beiden Politiker auch durchaus Schnittmengen, sehen sie doch gleichermaßen das Ende des Zweiten Weltkrieges als singuläres Ereignis und die Gründung der Vereinten Nationen als historisch bedeutsam. Beide schätzen die Tätigkeit der UN im Laufe der Jahrzehnte als positiv für die Weltgemeinschaft. In die politische Sprache übersetzt, sind das auch durchaus Signale an die andere Seite, die gestörte Kommunikation wieder in Gang zu setzen.

Wahrheit und Lüge

Dann aber fühlen wir uns rasch in die propagandistische Welt der Leitmedien versetzt, die ihre vielfältigen transatlantischen Verbindungen schlicht nicht verbergen können. Woher sie ihre doppelbödige, selektive verlogene Sprache her haben? Schauen wir, was Barack Obama dem Plenum der Vollversammlung anbot:

„Heute sehen wir, wie der Zusammenbruch von Diktaturen und schwachen Staaten Konflikte heraufbeschwört und unschuldige Männer, Frauen und Kinder in einem epochalen Ausmaß über Grenzen treibt.“

Aussagen ähnlich dieser findet man ohne Weiteres in Blättern wie „Die Welt“, „Spiegel“ und Co. Doch was ist daran so falsch, mag sich manch durchschnittlich an Politik interessierter Bürger fragen, nicht ahnend, wieviel Manipulation allein in einem Satz verborgen sein kann. „Zusammenbruch“ (eine Halbwahrheit, wenn nicht gar Lüge) von „Diktaturen“ (nächste Lüge) ist schicksalhaft und hätte eine fatale Kettenreaktion von Konflikten „heraufbeschwört“ (komplette Aussage ist eine Lüge) , die nun in Massen „Unschuldige“ aus ihren Ländern treibt. Glaubt Obama tatsächlich daran oder ist er gezwungen, solche Unwahrheiten zu verkünden? Lösen wir die dreiste Lüge auf, überführen wir deren Orwellsche Sprache [9] in Eine, die uns die Wahrheit offenlegt.

Um das tun zu können müssen die Objekte wieder korrekt bezeichnet und so ihrer euphemistischen oder dysphemistischen Wertungen befreit werden. Zuerst aber ist eine Wiederherstellung des korrekten kausalen Zusammenhangs erforderlich, der nämlich umgedreht wurde! Die Konflikte wurden nicht durch irgendeinen „Zusammenbruch“ heraufbeschworen sondern sind im Gegenteil die Ursache für das, was Obama „Zusammenbruch“ nennt. Nennen wir es richtigerweise „Zerschlagung„. Den diffamierenden Begriff „Diktaturen“ ersetzen wir durch „Regierungen“ und „schwache Staaten“ befreien wir vom Adjektiv „schwach„, welches gemeinsam mit dem Adjektiv „unschuldige“ sowie der Einbindung „Frauen und Kinder“ eine rein emotionale Wirkung auf den Zuhörer (Leser) bezweckt, um ihn die Lüge gewissermaßen leichter schlucken zu lassen. Und natürlich wurden Konflikte nicht „heraufbeschworen“, nein sie wurden bewusst „geschürt“. Schauen wir uns danach die bereinigte Aussage an:

Heute sehen wir, wie bewusst geschürte Konflikte Regierungen stürzen und Staaten zerstören, sowie die Menschen in einem epochalem Ausmaß über die Grenzen treibt.

Ein klare aussagekräftige und logische Sprache ergibt das, einzig die Täter werden im Satz nicht benannt. Gerade in der Redephase nach der Einleitung werden in Obamas Rede alle Register der Propaganda gezogen und der Leser bzw. Zuhörer wird mit der nächsten Lüge konfrontiert:

„Grausame Terrornetzwerke haben das Vakuum gefüllt.“

Welches Vakuum? Allein die Untersuchung des Syrien-Konflikts ergibt, dass die Vereinigten Staaten von Amerika ALLE großen Terrorgruppierungen dieser Region aktiv unterstützten, ja sie teilweise begründeten – mal völlig egal unter welchem Namen sie auftraten (dieses Verwirrspiel mitzumachen, muss man sich nicht antun). Ob es nun die sogenannte Freie Syrische Armee (FSA), die al-Nusra-Front, der Islamische Staat (IS), oder al-Quaida (die teilweise in anderen Gruppierungen aufgehen) ist, sie alle konnten letztendlich nur durch die massive logistische, propagandistische, finanzielle und militärische Unterstützung aus den USA ihre besorgniserregende Stärke entfalten. Sie waren die Marionetten zur Entfachung der Konflikte dieser Tage in der Region des Nahen und Mittleren Ostens.

Das alles weiß Barack Obama natürlich! Schließlich konferiert er regelmäßig mit dem stärksten Mann der Republikaner, dem US-Senator John McCain. McCain koordinierte schon im Jahre 2011 persönlich(!) vom Libanon aus Waffengeschäfte, um eine militärische Opposition gegen die Assad-Regierung in Syrien aufzubauen. Und traf sich – so ungeheuerlich das auch klingen mag – nach dem er 2013 illegal in Syrien einreiste, mit den militärischen Führern der Terrorbrigaden, u.a. auch mit dem Chef des Islamischen Staates in Syrien (ISIS) Ibrahim al-Badri! [10]. Obama lügt also, warum?

Der Führer der westlichen Wertegemeinschaft (wie deren Ideologen sie gern nennen) mutete den Repräsentanten der Staatengemeinschaft Sätze zu, die jeder Grundlage entbehrten und vielen Opfern wie Hohn vorkommen mussten. Eine (passende) Scheinrealität wurde konstruiert, die mit der Wahrheit nichts zu tun hat. So etwas macht in Permanenz nur ein ganz bestimmter psychologisch konstituierter Menschentyp. Wenn Obama nicht zu diesen Menschen gehört, unter welchem Druck und mit welcher Selbstverleugnung muss er wohl in seiner Rolle als politischer Führer wirken?

Nachdem also die Wahrheit neu geschaffen (statt interpretiert) wurde, erfolgt daraus die logische Ableitung, wie schon im Beispiel oben (wobei natürlich unbestritten ist, dass durch die Konflikte Menschen gewzungen sind, ihrer Heimat zu verlassen). Der Lügner, welcher sich „das Vakuum“ ausdachte, hat nun kein Problem, daraus das Folgende zu postulieren. Wobei der Passus eigentlich schon wieder – anders als gewollt – wahr ist. Obama will zwar auf andere zeigen, ein typisches Merkmal machtbewusster Menschen, die unbewusst die eigenen Fehler auf Andere projizieren(!). Das ungewollt Komische der Aussage wird dem Leser aber auch nur dann bewusst, wenn er die Manipulation in den Worten zuvor (s.o.) durchschaut hat:

„Technologien die dem Einzelnen mehr Möglichkeiten verschaffen, werden jetzt auch von denjenigen ausgenutzt, die Desinformation verbreiten, Andersdenkende unterdrücken oder Jugendliche radikalisieren.“

Wie dreist, ja geradezu bösartig Propaganda die Menschen auf Ängste und Hass trimmt, das bringen die weiteren Sätze zum Ausdruck, welche man fast wortwörtlich, als würde die US-Administration sie ihnen soufflieren, in den deutschen Leitmedien wiederfindet:

„Wir beobachten eine Erosion demokratischer Prinzipien und der Menschenrechte, die ein fundamentaler Bestandteil des Auftrags dieser Institution sind; Informationen werden streng kontrolliert, der Raum für die Zivilgesellschaft wird stark eingeschränkt. Dann heißt es, dass diese Beschränkungen erforderlich seien, um Unruhen zu bekämpfen, dass das die einzige Möglichkeit sei, gegen Terrorismus vorzugehen oder eine Einmischung aus dem Ausland zu verhindern. Dieser Logik folgend sollten wir Tyrannen wie Baschar al-Assad, der Fassbomben auf unschuldige Kinder abwirft, unterstützen, weil die Alternative ganz sicher schlimmer wäre.“

Damit ist die selbstgeschaffene Illusion vollkommen, das Böse ist erkannt und definiert. Nun geht es darum, die Menschen in das selbst geschaffene Feindbild einzuspannen. Dass Baschar al-Assad ein Tyrann ist, der Beweis dafür ist niemals erbracht worden, aber selbst ein US-Präsident ist sich nicht zu schäbig, das Narrativ vor dem UN-Plenum zu wiederholen. Die Methoden der Propaganda sind äußerst schlicht, im Zitierten sind es emotional in langen Jahren aufgewertete Begriffe, welche das Unterbewusste triggern sollen: „Tyrannen“, „Fassbomben“ und „unschuldige Kinder“. Wie bescheuert der Ausdruck „unschuldige Kinder“ ist, erkennt man natürlich erst bei bewusster Reflektion. Oder gibt es inzwischen auch schon „schuldige Kinder“?

Die Rolle der Weltgemeinschaft

Man mag sich fragen, warum ich bislang nicht einen einzigen Passus aus der Rede Wladimir Putins ähnlich kritisch beleuchtete, wie bei seinem US-amerikanischen Amtskollegen. Doch ich tat es wohl, nur fand ich bislang keinen, der eine solch kritische Wertung verdient hätte. Im Gegenteil, Putin hat 15 Minuten Redezeit, die er gedenkt effektiv zu nutzen, seine Sprache ist knapp und sachlich und er kommt sehr schnell zum Kern:

„Die Aufgabe der Organisation [der Vereinten Nationen] ist es, Kompromisse anzustreben und zu erzielen, und ihre Stärke beruht darauf, unterschiedliche Standpunkte und Meinungen in Betracht zu ziehen. Die Entscheidungen, die in der UN diskutiert werden, nehmen entweder die Gestalt von Resolutionen an oder nicht. Wie es die Diplomaten sagen, sie kommen durch oder nicht. Jede Handlung, die unter Umgehung dieser Prozedur stattfindet, ist illegitim und stellt eine Verletzung der UN-Charta und des gegenwärtigen Völkerrechts dar.“

Welchen Grund hat Putin, auf diese Regularien hinzuweisen? Äußerst Gewichtige, so gewichtig, dass sie die weiter oben ausgeschüttete Propaganda in wenigen Worten bloßstellen. Die sogenannten humanitären Aktionen der westlichen Staaten, allesamt unter Führung der USA waren sowenig humanitär, wie sie von der UNO legitimiert waren. Für den Krieg der NATO gegen ein souveränes europäisches Land, nämlich Serbien (bzw. Jugoslawien), hat die UN nicht ihre Zustimmung gegeben, sie hat nicht einem Mandat für den Irak-Krieg und sie hat auch nicht einem Kriegseinsatz der NATO in Libyen zugestimmt. Und natürlich gibt es auch keinerlei Legitimation der Vereinten Nationen für einen verdeckten oder offenen Krieg gegen den souveränen syrischen Staat. Das ganze hohle Geschwätz der selbst erdachten Lügen über Tyrannen und Unschuldige löst sich damit im Nichts auf. Der militärische Einsatz gegen Syrien – mit dem Kriegstreiber USA im Hintergrund- wird aus sehr gutem Grund von der Weltgemeinschaft insgesamt abgelehnt.

Putin nimmt kein Blatt vor den Mund und begründet, warum er soviel Wert auf die zwischen den Völkern verbindlichen Vertragswerke der UN legt. Und dass er die Glaubwürdigkeit von Nationen daran festmacht, ob sie sich diesen Gesetzen verpflichtet fühlen oder nicht:

„Wir alle wissen, dass die Welt am Ende des Kalten Krieges ein einziges Herrschaftszentrum besaß, und jene, die sich an der Spitze der Pyramide wiederfanden, waren versucht, zu denken, sie wüssten, da sie so mächtig und außerordentlich seien, am besten, was zu tun sei, und daher müssten sie auf die UN keine Rücksicht mehr nehmen, die ihnen oft im Weg steht, statt die Entscheidungen, die sie brauchen, schlicht durchzuwinken.“

Dem russischen Staatsführer ist völlig klar, wie die Eliten in den USA ticken und er macht sich nicht erst die Mühe das groß diplomatisch zu verbrämen. Er spricht die Tatsachen an, nämlich eine im Machtwahn völlig außer Kontrolle geratene Clique von Entscheidern, die die Welt in Richtung des Abgrundes treiben. Und deshalb beschwört Putin die Anwesenden, die Prinzipien der UN zu erhalten und zu stärken:

„Natürlich, die Welt ändert sich, und die UN sollten sich auch natürlich umgestalten. Russland ist bereit, mit seinen Partnern zusammenzuarbeiten, um die UN auf Grundlage eines breiten Konsens weiterzuentwickeln, aber wir erachten jeden Versuch, die Legitimität der Vereinten Nationen zu untergraben, als höchst gefährlich. Sie können zum Zusammenbruch der gesamten Architektur der internationalen Beziehungen führen, und dann bliebe tatsächlich keine Regel außer der Macht des Stärkeren. Die Welt würde von Selbstsucht beherrscht statt von gemeinsamem Streben, vom Diktat statt von Gleichheit und Freiheit, und statt wirklich unabhängiger Staaten hätten wir Protektorate, die von außen kontrolliert werden.“

Wer nun aufmerksam liest, erkennt, dass Barack Obama die von Putin aufgezeigten Gefahren durchaus ebenfalls sieht, auch wenn er sie nicht so klar aufzeigt. Aus meiner Sicht lassen diese Sätze erkennen, dass es für ihn ein „weiter wie bisher“ nicht geben kann. Hier lässt sich erahnen, dass Obama durchaus versucht, sich aus der Zwangsjacke, die ihm die Neocons (Neokonservativen) angelegt haben, herauszuwinden. Um das tun zu können, muss er seine Worte sorgfältig wählen:

„Obwohl unsere Wirtschaft wächst und der Großteil unserer Soldaten aus dem Irak und aus Afghanistan zurückgekehrt sind, erleben wir in unseren Debatten über die Rolle der Vereinigten Staaten in der Welt eine Vorstellung von Stärke, die sich über die Opposition zu alten Feinden definiert, zu denjenigen, die man als Gegner sieht, einem aufstrebenden China oder einem wieder erstarkenden Russland, einem revolutionären Iran oder einem mit Frieden nicht zu vereinbarenden Islam. Wir verfolgen Diskussionen darüber, dass die einzige in den Vereinigten Staaten wichtige Stärke in kriegerischen Reden und der Zurschaustellung militärischer Stärke besteht, dass Kooperation und Diplomatie nicht funktionieren werden.“

Auch wenn er insgesamt die ihm aufgetragene Agenda vom „guten Westen“ und dem „bösen Assad“ in der Rede durchbringen muss (was Russland betrifft ist er vorsichtiger als noch ein Jahr zuvor), versucht er Zeichen der Annäherung zu setzen. Immer wieder durchsetzt er martialisches Weltmachtgehabe mit Botschaften wie dieser:

„Ich stehe jedoch heute in der tiefen Überzeugung vor Ihnen, dass wir als Länder der Welt, nicht zu den alten Methoden von Konflikt und Nötigung zurückkehren können. Wir können uns nicht zurückwenden. Wir leben in einer vernetzten Welt, in der wir alle ein Interesse am Erfolg des anderen haben. Wir können uns von diesen integrativen Kräften nicht freimachen. Kein Land in dieser Versammlung kann sich von der Bedrohung des Terrorismus, vor dem finanziellen Ansteckungsrisiko, dem Strom der Einwanderer oder der Gefahr der Erderwärmung abschotten. Die Unruhen, die wir erleben, werden nicht lediglich durch Wettbewerb zwischen Ländern oder durch eine einzigen Ideologie verursacht. Wenn wir nicht lernen, effektiver zusammenzuarbeiten, werden wir alle die Konsequenzen tragen müssen. Das gilt auch für die Vereinigten Staaten.

Putin bleibt in seiner Rede konsequent. Völkerrecht ist verbindlich – für alle. Und das Argument von (mit Gewalt durchzusetzender) Demokratie und Menschrechten ist nichts weiter als ein Scheinargument, um Interessen zu Lasten anderer durchzusetzen. Zu meinen, ein Land von außen her in seinem Sinne „befrieden“ zu müssen, ist schlicht illegitim. Daher lauten seine pragmatischen Worte:

„Was bedeutet staatliche Souveränität, der Begriff, der von unseren Kollegen hier erwähnt wurde? Grundsätzlich bedeutet er Freiheit, jede Person und jeder Staat ist frei, seine Zukunft zu wählen…Nebenbei, das bringt uns zur Frage sogenannter Legitimität staatlicher Herrschaft. Sie sollten nicht mit Worten spielen und sie manipulieren. Im Völkerrecht, in internationalen Beziehungen muss jeder Begriff klar definiert sein, transparent, und von allen auf die gleiche Weise gedeutet werden… Wir sind alle verschieden, und das sollten wir respektieren. Nationen sollten nicht gezwungen werden, sich alle an das gleiche Entwicklungsmodell anzupassen, das irgendwer zum einzig angemessenen erklärt hat.“

Es ist bemerkenswert, wie Putin sucht, ein Bild zu vermeiden, dass sein Land und dessen Geschichte mit weißer unbefleckter Weste dastehen lässt, während alles Böse ausschließlich jenseits des Ozeans zu Hause ist. Er geht kritisch mit der eigenen Vergangenheit um und das kann man auch als Geste an die Menschen in den USA verstehen, so wie: He, euch fällt kein Zacken aus der Krone, wenn ihr Fehler zugebt, uns ist das auch schon passiert!

„Wir sollten uns alle an die Lehren aus der Vergangenheit erinnern. Wir erinnern uns etwa an Beispiele aus unserer sowjetischen Vergangenheit, als die Sowjetunion soziale Experimente exportierte und aus ideologischen Gründen Veränderungen in anderen Ländern anschob, und das hatte oft tragische Konsequenzen und führte zu Verschlechterungen statt zu Fortschritt.“

Dass die Regeln über die Souveränität von Staaten und Völkern in den vergangenen Jahren ohne Skrupel gebrochen wurden, lässt Russlands ersten Mann dann auch zu emotionalen Worten greifen. Es ist eine schonungslose Abrechnung mit den Lügen über sogenannte demokratische Revolutionen und deren Export, ohne dass er dabei den Menschen das Recht auf Veränderungen abspricht:

„Es scheint jedoch, dass einige, statt aus den Fehlern anderer zu lernen, es vorziehen, sie zu wiederholen und weiter Revolutionen exportieren, nur sind es diesmal „demokratische“ Revolutionen. Man sehe sich nur die Lage im Nahen Osten und in Nordafrika an, die vom Vorredner bereits erwähnt wurde. Natürlich haben sich in dieser Region die politischen und sozialen Probleme über eine lange Zeit aufgehäuft, und die Menschen dort wollten Veränderung. Aber was ist das tatsächliche Ergebnis? Statt Reformen zu bringen, zerstörte das aggressive Eingreifen unbedacht die Regierungsstrukturen und die örtliche Lebensweise. Statt Demokratie und Fortschritt sind dort jetzt Gewalt, Armut, soziale Katastrophen und völlige Missachtung der Menschenrechte, eingeschlossen das Recht auf Leben. … Es drängt mich, jene, die diese Lage geschaffen haben, zu fragen: begreift ihr wenigstens jetzt, was ihr getan habt? Aber ich fürchte, diese Frage wird ohne Antwort bleiben, denn sie haben ihre Politik nie aufgegeben, die auf Arroganz, Außergewöhnlichkeit und Straflosigkeit beruht.

Warum sprach Putin?

Zehn Jahre war es her, dass Russlands Präsident letztmalig vor der UNO sprach, was nun bewog ihn, im Jahre 2015 wieder vor dem Plenum zu sprechen? Während in den Monaten zuvor feststellbar war, dass die Terrorgruppen des Islamischen Staates in Syrien, dem Irak und auch in Afghanistan(!) zunehmend an Boden gewannen – alles Länder in denen sich die Vereinigten Staaten von Amerika militärisch engagieren, prasselte eine üble Hetze auf die unter große Bedrängnis geratene rechtmäßige syrische Regierung ein. In dieser konzertierten abartigen Propaganda wurden immer wieder die gleichen Lügen aufgetischt und so in den Hirnen der Menschen eingebrannt (Assad vernichtet sein Volk mit Fassbomben und Giftgas). Die Hetze ging so weit, dass man Assad für all die zigtausend Toten hauptamtlich verantwortlich machte, dabei hat allein die Syrische Armee etwa 50.000 Tote zu beklagen.

Gleichzeitig entstand die Mär von den „gemäßigten Rebellen“ während der IS zunehmend aus der Berichterstattung herausgefiltert wurde. Der IS war natürlich nicht verschwunden, im Gegenteil, er wurde stärker denn je und drohte Syrien zu erdrosseln. Ein für Russland äußerst bedrohliches Szenario, denn man muss wissen, dass viele tausend Kämpfer des IS aus den ehemaligen mittelasiatischen Republiken und Russland stammen – und gedachten, mit dem IS dorthin zurückzukehren. Eine besondere Rolle spielen dabei die tschetschenischen IS-Angehörigen. Hintergründe und Ursachen der Tschetschenien-Kriege sollen hier nicht beleuchtet werden, Fakt jedoch ist, dass die Terroranschläge tschetschenischer Extremisten die russische Nation in eine äußerst gefährliche Situation manövrierten. Russland ist daran interessiert, eine Wiederholung des Geschehens zu vermeiden und wiederholt genau aus diesem Grund immer wieder seine Angebote zur gemeinsamen Bekämpfung des Terrorismus – auch an die USA.

Russland blieb natürlich auch nicht verborgen, mit welchen Waffen der IS da kämpfte. Panzerbrechende Waffen (TOW-1) und Lenkraketen, ja selbst Kampfpanzer und gepanzerte Fahrzeuge  aus US-Beständen fügten der Syrischen Armee schwere Verluste zu. Die seit einem Jahr andauernden Bombardements der USA auf IS-Stellungen schwächten diesen dagegen mitnichten, womit zu hinterfragen war, ob die USA überhaupt an einer Vernichtung dieser Terrororganisation gelegen war, während sich die US-Rüstungsindustrie die Hände rieb. [11] Nicht zu vergessen ein machtpolitischer Aspekt, der einzige sich nicht in oder an Russlands Grenzen befindliche russische Militärstützpunkt – die Marinebasis Tartus drohte verlustig zu gehen.

Und bei all dem darf man das Geschehen an Russlands Grenzen nicht aus den Augen verlieren. Seit über einem Jahr regiert eine sich mit Unterstützung westlicher Geheimdienste und NGOs an die Macht geputschte Clique mit faschistoider Note, welche einen Krieg gegen die eigene Bevölkerung im Osten des Landes führt, das Ganze unterstützt von Wirtschaftssanktionen und einer massiven Hetzkampagne westlicher Medien gegen Russland. Die militärische und geostrategische Schwächung Russlands allerdings hatten die USA nicht umsetzen können. Der russische Militärstützpunkt Sewastopol blieb Russland erhalten, weil sich die Krim in freier Entscheidung vom ukrainischen Staatsgebiet abspaltete und nachfolgend der Russischen Förderation anschloss.  [12]

All diese Geschehnisse hatten Russlands Entscheidungen bestimmt, einen Schwenk durchzuführen in Richtung einer massiven Unterstützung der Assad-Regierung, um den Fortbestand des syrischen Staatsgebildes zu sichern und eine wahrhaftige und wirksame Bekämpfung der dort wütenden Terrorbrigaden einzuleiten. Dass es sich hier nicht um das gleiche Spiel handelt, welches eine Koalition westlicher Staaten (USA, Frankreich, Israel, Türkei) praktiziert, diesen Unterschied gedachte Wladimir Putin herauszuarbeiten. Die Militäreinsätze des Westens sind nämlich eine permanente Verletzung der Souveränität Syriens, mehr noch unterstützen sie sogar die terroristischen Gruppierungen, welche auf dem Boden des Landes agieren. [13]

Und hier schließt sich der Kreis und die eingangs von Putin für so wichtig befundene Achtung von Prinzipien, zu denen sich die Weltgemeinschaft bekannt hat, ist damit die öffnende Klammer zur Begründung des russischen Engagements in Syrien. Während die USA und Frankreich, Israel und die Türkei im Falle Syriens permanent das Völkerrecht brechen, ist Russlands Einsatz mit dem ausdrücklichen Hilfeersuchen der syrischen Regierung legitimiert!

Putin war also nach New York gekommen, um sachlich und fundiert die in den kommenden Tagen anlaufenden russischen Operationen zu begründen und deren Legitimation vor der Völkergemeinschaft nachzuweisen.

Fiktion und Realität

Thesen, selbst Hypothesen folgen einem wissenschaftlichem Anspruch. Wenn allerdings jemand eine Behauptung ohne jede Grundlage aufstellt, einzig um sein Opfer (das ist es dann) zu diskreditieren und eigenes Handeln im Eigeninteresse zu rechtfertigen, dann kann man ohne weiteres von einer Lüge sprechen, hier ist eine von Barack Obama Ausgesprochene:

„Erinnern wir uns, wie alles begann. Assad reagierte auf friedliche Demonstrationen, indem er die Unterdrückung und das Morden noch verstärkte und schuf  somit das Umfeld für den aktuellen Konflikt. „

Nochmals, berücksichtigen wir, in welches Machtsystem Obama eingebettet ist, denken wir daran, dass er in seinem Handeln keineswegs frei ist (wie übrigens Putin auch nicht). Und trotzdem ist das eine unverschämte hetzende Lüge. „Wie alles begann“ werde ich noch in einem weiteren Artikel gründlich aufarbeiten, der geistige Unrat der diesbezüglich jahrelang von offensichtlich fremdgesteuerten Medien über uns ausgeschüttet wurde, gebietet mir das. Das Muster welches die syrische Tragödie in Gang setzte, war das Gleiche wie in Libyen und in der Ukraine. Wieder werden selektiv Ursache und Wirkung verdreht, Emotionen geschürt, um diese miese Propaganda in die Köpfe der Menschen zu prügeln.

„Deshalb können Assad und seine Verbündeten nicht einfach die breite Mehrheit der Bevölkerung befrieden, gegen die brutal mit Chemiewaffen und willkürlichen Bombenangriffen vorgegangen wurde.“

Obama begründet das mit der zuvor fabulierten Lüge, doch unabhängig davon stellt sich die Frage: Wer eigentlich bestimmt den Weg des syrischen Volkes – etwa die USA oder Israel oder Deutschland? Ist es nicht das syrische Volk selbst, welches entscheiden darf, in welch einer Gesellschaft es leben möchte? Die Realität in Syrien selbst spricht eine deutliche Sprache, die meisten syrischen Flüchtlinge (über sieben Millionen!), sind nämlich in das Einflussgebiet der Assad-Regierung geflüchtet, bzw. dort verblieben. Wie absurd wäre das denn, wenn ein unterdrücktes und gemordetes Volk Schutz bei seinem Tyrannen sucht? Nur fünf Prozent der Zivilbevölkerung Syriens hält sich in vom IS kontrollierten Gebieten auf, warum das so ist, sollte angesichts der Greueltaten, welche von den IS-Schlächtern begangen werden, jedem klar sein. Aber Obama spricht vom Terror Assads und malt damit ein Bild fern von der Wirklichkeit, erneut lässt Orwell [14] grüßen.

Eine Richtigstellung der jüngeren Geschichte, vor allem in Bezug auf das Thema Terrorismus liefert dankenswerter Weise erneut der Russische Präsident:

„Tatsächlich kam der Islamische Staat nicht aus dem Nichts. Er wurde ursprünglich als Waffe gegen unerwünschte säkulare Regime entwickelt.“

Keiner hat diese klare Aussage danach in Frage gestellt, jeder sich leidlich umfassend Informierende weiß, dass es genau so ist und die Täter sind bekannt. Und mit Feststellung der wirklichen Sachlage sind natürlich auch die Schlussfolgerungen andere als die deren Kausalität auf einer selbst gestrickten Scheinwelt aufgebaut wurde. Putin warnt in seinen Worten die Psychopathen, welche Obama´s Handeln zu dirigieren suchen, eindringlich vor weiteren Machtspielchen im Sinne des Teile und Herrsche:

„Nachdem er die Kontrolle über Teile von Syrien und dem Irak erlangt hat, dehnt sich der Islamische Staat jetzt aggressiv in andere Regionen aus. Er strebt die Beherrschung der muslimischen Welt an, und mehr. Ihre Pläne gehen weiter. … Die Lage ist extrem gefährlich. Unter diesen Umständen ist es heuchlerisch und unverantwortlich, Erklärungen über die Bedrohung durch den Terrorismus abzugeben und zur gleichen Zeit die Augen zu verschließen vor den Kanälen, durch die die Terroristen finanziert und unterstützt werden, einschließlich der Erträge aus Drogenhandel, illegalem Ölhandel und Waffenhandel. …“

„Es ist gleichermaßen unverantwortlich, extremistische Gruppen zu manipulieren und sie zu nutzen, um politische Ziele zu erreichen, in der Hoffnung, dass man später einen Weg finden wird, sie loszuwerden oder irgendwie auszulöschen. …Ich würde jenen, die damit befasst sind, gerne sagen: meine Herren, die Leute, mit denen Sie zu tun haben, sind grausam, aber nicht dumm. Sie sind so schlau wie Sie. Also, das ist die große Frage: wer benutzt hier wen? Die jüngsten Ereignisse, als die „gemäßigste“ Oppositionsgruppe ihre Waffen an die Terroristen übergab, ist ein deutliches Beispiel dafür.“

„Wir meinen, dass jeder Versuch, mit Terroristen zu flirten, schlimmer noch, sie zu bewaffnen, kurzsichtig ist und brandgefährlich. Das macht die weltweite terroristische Bedrohung weit schlimmer, verbreitet sie in neue Gebiete rund um die Welt, insbesondere, weil dort Kämpfer aus vielen verschiedenen Ländern sind, auch europäischen, die mit dem Islamischen Staat Kampferfahrung sammeln. Unglücklicherweise ist Russland hier keine Ausnahme.“

So klar die Worte, so klar ist auch sichtbar, dass sich Putin weitgehend wertender oder überbewertender und emotional triggernder Begriffe enthält, ganz im Gegensatz zum US-Präsidenten. Aber in aller Deutlichkeit stellt er schlussfolgernd klar, dass Russland diese verlogene Politik einer verdeckten Stärkung militanter Radikaler aller Coleur zum Zwecke eigener Machgestaltung, so nicht mehr weiter hinzunehmen bereit ist:

„Nun, da diese Schurken Blut geleckt haben, können wir ihnen nicht erlauben, nach Hause zurückzukehren und ihre kriminellen Aktivitäten fortzusetzen. Niemand will das, oder?“

Die Aussage war unmissverständlich: Russland würde sein Engagement in Syrien umgehend und sehr deutlich verstärken. Dass es dazu kommen würde, war schon Wochen zuvor absehbar aber die realitätsfremden Neocons in Washington wollten es einfach nicht wahrhaben und trieben ihr verdecktes mörderisches Spiel im Nahen Osten weiter und weiter. Das Einzige was ihnen in den Tagen nach Putins Rede einfiel, war das Anstoßen einer neuerlichen konzertierten hetzenden Propaganda sowohl gegen Syrien als auch gegen Russland. Für eine politische oder auch militärische Antwort blieb ihnen dagegen glatt die Luft weg.

Und Obama? Gefangen in der ihm verordneten Scheinwelt, tut er das, was etwa ein Viertel seiner Rede ausmacht, Propaganda verkünden, bestehend aus Lügen, Halbwahrheiten, strotzend von negativ oder positiv konnotierten Begriffen (vorneweg Diktator und Unschuldige), die einzig dazu dienen, Menschen zu diffamieren und ein Hassbild zu predigen, dabei strikt vor der Wahrnehmung eigener Verantwortung zurückschreckend und deshalb beschäftigt, die Wirklichkeit passend zu zeichnen:

„Nirgends wird unser Engagement für die internationale Ordnung stärker auf die Probe gestellt als in Syrien. Wenn ein Diktator Zehntausende seiner eigenen Bürger abschlachtet, dann handelt es sich nicht lediglich um die inneren Angelegenheiten eines einzelnen Landes, sondern es verursacht Leid in einem Ausmaß, das uns alle betrifft. Ebenso ist es nicht das Sicherheitsproblem eines Landes, wenn eine Terrorgruppe Gefangene köpft, Unschuldige ermordet und Frauen versklavt — es ist ein Angriff auf die gesamte Menschheit.“

Erinnert sich der Leser noch an ein weiter oben auseinandergenommenes Zitat Obamas? Hier finden wir sie wieder, die bekannten Werkzeuge der Propaganda. Und es kommt noch ein weiteres hinzu, Erweckung von Objektivität durch Konjunktion. Die Schlächter des IS werden mit der Assad-Regierung verbunden, aber keineswegs (wie man glauben mag) gleichgestellt, nein sie werden sogar nachgestellt! Die erste Information des (langen) Satzes bleibt viel stärker beim Rezipienten hängen als die Nachfolgende.

Was Syrien betrifft, versucht der US-Repräsentant das Gesicht zu wahren, ob des Versagens der US-Außenpolitik im Nahen Osten, auch damit ist die absurde Dämonisierung Assads zu begründen, Obama lieferte diesbezüglich vor der UNO (meiner Ansicht nach) eine Auftragsarbeit seiner Strippenzieher ab. Das glaube ich, damit begründen zu können, dass er bei den anderen Themen seiner Rede sichtlich bemüht war, sachlich und objektiv zu bleiben. Auch wenn das beim Leser Stirnrunzeln hervorrufen mag, scheint mir Obama sogar noch ein Glücksfall zu sein.

Obama und die Neokonservativen

Im Jahre 2008 erhielt Obama als Präsidentschaftsbewerber den Vorzug vor einem gewissen John McCain, ich erwähnte den Namen bereits im Zusammenhang mit dessen aktiver Verwicklung in die Herbeiführung der syrischen Tragödie. Wäre dieser erzkonservative Republikaner, der vollständig in der Tradition von Neocons wie Paul Wolfowitz, Dick Cheney und Richard Perle steht, erster Mann der USA geworden, gäbe es heute vielleicht schon einen großen heißen Krieg.

Die Neokonservativen haben einen erheblichen Einfluss auf die Medien, nicht nur in den USA. Wie durchdringend dieser Einfluss bis auf die transatlantisch durchwebten deutschen Leitmedien ist, zeigt exemplarisch ein Beitrag des Blattes „Die Welt“ aus dem Springerkonzern. Obama wird hier in einer Weise verunglimpft, unter anderem für eine gewisse Zurückhaltung bei kriegerischen Konflikten, wie z.B. 2013 als Russland die Vernichtung syrischer waffentauglicher chemischer Kampfstoffe vermittelte, oder den Ausgleich den die Obama-Administration mit dem Iran suchte, dass man sich schon wundern muss, woher dieses Blatt den Mut nimmt, die „Feigheit“ des US-Präsidenten anzuklagen. [15] Das macht deutlich, wie mächtig die neokonservative Clique in den USA noch immer ist.

Um es kurz zu sagen: Obama ist einem erheblichen Druck ausgesetzt, wird immer wieder gemahnt entschlossener auf Konflikte zu reagieren und die Waffen sprechen zu lassen. Das lässt ahnen, wie wenig Hemmungen bei Leuten eines Schlages wie McCain oder auch bei der demokratischen Präsidentschaftsbewerberin Hillary Clinton vorhanden sind, ihre Machtambitionen international auszuspielen. [16] Das zwingt Obama, zu lavieren, seine realpolitisch Verbündeten sind nicht zahlreich, zu ihnen gehört sicher Außenminister Kerry. Die Einsicht der US-Politik, dass das Weltmachtgebaren der vergangenen 25 Jahre in einer nationalen wie internationalen Katastrophe enden kann, wächst nur langsam.

In diesem Kontext muss natürlich auch Obamas Rede vor der UN-Vollversammlung bewertet werden. Vergessen wir auch nicht, dass nur ein Mindestmaß an Realitätsbewusstsein, dass eben Obama zeigte, den Atomvertrag mit dem Iran möglich machte, gegen den massiven Widerstand der Israel-Lobby in den USA und Israels selbst. Israels Ministerpräsident Netanjahu hielt am gleichen Tag wie Obama und Putin eine Rede für sein Land vor der UN-Vollversammlung, so hasserfüllt, dass sie mit eisigem Schweigen den Plenums „belohnt“ wurde.

Der Inhalt des Vertrages ist ja eher banal. Mit ihm verpflichtet sich der Iran, auf die Entwicklung von Kernwaffen zu verzichten und kein angereichertes Uran für Atomwaffen herzustellen. Als Mitglied des Kernwaffensperrvertrages dem der Iran seit Jahr und Tag angehört (ganz im Gegensatz zu Israel!), ergibt sich das eigentlich von selbst. Niemals in den vergangenen Jahrzehnten hat man dem Land Verletzungen dieses Vertrages nachweisen können. Hinter dem Abschluss des Atom-Deals steckt etwas völig anderes, worauf ich noch zu sprechen komme. Wie wichtig Obama dieser Vertrag ist, sieht man daran, dass er einen großen Teil seiner Rede vor der UN-Vollversammlung diesem Thema widmete (Unwahrheiten darf der Leser diesmal selbst heraus fischen):

„Wir waren uns aber auch einig, dass das Ziel der Sanktionen nicht lediglich eine Bestrafung Irans war. Wir wollten herausfinden, ob Iran seinen Kurs ändern, Einschränkungen akzeptieren und der Welt erlauben würde zu überprüfen, ob sein Atomprogramm friedlich ist. Zwei Jahre lang haben die Vereinigten Staaten und ihre Partner, einschließlich Russlands und Chinas, gemeinsam komplexe Verhandlungen geführt. Das Ergebnis ist ein umfassendes Abkommen, das Iran davon abhält, sich Kernwaffen zu beschaffen, gleichzeitig aber die friedliche Nutzung der Atomenergie ermöglicht. Wenn dieses Abkommen vollständig umgesetzt wird, wird das Verbot von Kernwaffen gestärkt, ein potenzieller Krieg abgewendet und unsere unsichere Welt sicherer. Das ist die Stärke des internationalen Systems, wenn es so funktioniert, wie es sollte.“

Immer wieder kommt Obama auf den Iran zurück. Zwar rechtfertigt er fadenscheinig die Sanktionen gegen das Land, wiederholt aber betont er  den Wert geduldiger Verhandlungen und lehnt gewaltsame Lösungen ab. Dabei ist Eines zu sagen: Dieser Vertrag ermöglichte Washington sein Gesicht zu wahren, denn letztlich bestätigt sich damit dessen Bankrott der in den vergangenen Jahren gelebten Iran-Politik, die ohne weiteres auch hätte in einem Krieg enden können. Die ungerechtfertigten Sanktionen gegen den Iran werden im Prinzip ohne Vorbedingungen aufgehoben. Dass die Iraner Kompromisse bei der Anreicherung machten, ist eher als Geste zu werten, um die Schlappe der USA nicht zu deutlich werden zu lassen. Der Iran spielt eine strategische Rolle, niemals werden China und Russland es zulassen, dass die Vereinigten Staaten oder ihr Proxy Israel massiv gegen den Iran vorgehen. Das wird spätestens bei den Genfer 5+1-Verhandlungen klar geworden sein.

Der Kampf gegen den Terror

Der russische Präsident war vor allem eines Themas wegen nach New York gekommen, dem Kampf gegen den Terrorismus. Er sieht diesen von Psychopathen hochgezüchteten Dämon als größte Gefahr für die Weltgemeinschaft und fokussierte deshalb in seiner Rede vor allem auf ihn. Dass eine erfolgreiche Bekämpfung des Terrors illusorisch ist, wenn man gleichzeitig bislang intakte Gesellschaften zerstört, sollte eigentlich eine Binsenweisheit sein. Das gilt aber nicht für in ihrem Wahn völlig durchgeknallte Machtpolitiker, welche die Realität nicht mehr zu erfassen in der Lage sind. An sie sind diese Botschaften Putins gerichtet:

„Wir halten es für einen großen Fehler, sich der Zusammenarbeit mit der syrischen Regierung und den Regierungstruppen zu verweigern, die vor Ort tapfer gegen die Terroristen kämpfen. … Wir sollten endlich zugeben, dass die Regierungstruppen von Präsident Assad und die kurdischen Milizen die einzigen Kräfte sind, die in Syrien wirklich gegen Terroristen kämpfen. Ja, wir wissen um die Probleme und Konflikte in der Region, aber wir müssen definitiv die wirkliche Lage vor Ort berücksichtigen. … Liebe Kollegen. Ich muss anmerken, dass diese ehrliche und offene Herangehensweise Russlands jüngst als Vorwand genutzt wurde, ihm wachsende Ambitionen vorzuwerfen – als hätten jene, die dies sagen, keinerlei Ambitionen. Es geht jedoch nicht um Russlands Absichten, liebe Kollegen, sondern um die Anerkennung der Tatsache, dass wir den gegenwärtigen Stand der Dinge auf der Welt nicht länger hinnehmen können.

Der bislang durch die Züchtung des Terrorismus angerichtete Schaden ist kolossal und kurzfristig schon allein wegen des ungezählten Leides nicht zu reparieren. Das weiß Putin und sendet einen Apell an die muslimische Welt:

„Ich möchte mich auch an die spirituellen Führer der Muslime wenden: Ihre Autorität und Ihre Führung ist gerade jetzt besonders wichtig. Es ist entscheidend, jene Leute, die von den Extremisten zur Rekrutierung ins Auge gefasst werden, von übereilten Entscheidungen abzuhalten, und jenen, die bereits getäuscht wurden und sich, auf Grund unterschiedlicher Umstände, unter Terroristen wiedergefunden haben, dabei zu helfen, ins normale Leben zurückzufinden, ihre Waffen niederzulegen und den Brudermord zu beenden.“

Der russische Staatschef streckt die Hand aus – und nimmt damit gleichzeitig die USA in die Pflicht. Was hier angeboten wird, kann man eigentlich nicht zurückweisen:

„In den kommenden Tagen wird Russland, das gerade den Vorsitz im UN-Sicherheitsrat innehat, ein Treffen der Minister anberaumen, um eine umfassende Analyse der Bedrohungen im Nahen Osten durchzuführen. Zuallererst schlagen wir vor, die Möglichkeiten für die Annahme einer Resolution zu prüfen, die dazu dienen könnte, die Bemühungen aller Parteien zu koordinieren, die gegen den Islamischen Staat und andere terroristische Gruppen stehen. Noch einmal, eine solche Koordination sollte auf den Prinzipien der UN-Charta beruhen.“

Mit diesen Worten brachte Russland die USA in ein Dilemma und man darf voller Anerkennung sagen, dass die Russen hier ein diplomatisch-politisch-militärisches Lehrstück aufführten. Sie hatten diese dreifache Offensive klug geplant, nutzten das Forum der Weltgemeinschaft, verpflichteten sich der Charta der Vereinten Nationen – und zwangen die USA Farbe zu bekennen. Wie unglaubwürdig, geradezu naiv diese in den Wochen danach in Syrien agierte, stellte in aller Klarheit deren dort bis dahin betriebene scheinheilige Politik bloß.

Überall gab es plötzlich nur noch gemäßigte Rebellen, der IS war verschwunden und Russlands Bomben trafen im Prinzip nur moderate Oppositionelle. McCain beschwerte sich, dass seine Leute (Kämpfer der Al-Nusra) angegriffen würden – ein Possenspiel, eine Demaskierung erster Güte. Da half auch keine für inzwischen viele Bürger zunehmend ersichtlich lächerlich plump aufgemachte Hetzkampagne gegen Russland und Syrien. Der Lack war ab.

Inzwischen schafft das Bündnis Syriens mit Russland, Irak und dem Iran Fakten in Syrien. Die Terroreinheiten wurden empfindlich getroffen und befinden sich auf dem Rückzug. Das hat auch diplomatische Konsequenzen. Die Rufe „Assad muss weg“ verhallen zusehends und die Bereitschaft zu Verhandlungen wächst. Russland hat in seiner diplomatischen Offensive aktiv auch mit Staaten wie Saudi Arabien und Israel kommuniziert, geht pragmatisch vor und legt sich dabei keine ideologischen Scheuklappen an. Hoffen wir, dass all diese Initiativen dem geschundenen Syrien wie auch dem benachbarten Irak bald den ersehnten Frieden bringen.

Über was man sonst noch so sprach

Wenn auch kurz, ganz konnte Barack Obama es auch diesmal nicht lassen, die sogenannte russische Annexion der Krim zu thematisieren:

„Von eben dieser Treue gegenüber der internationalen Ordnung lassen wir uns bei unserer Reaktion auf die weltweiten Herausforderungen leiten. Nehmen Sie beispielsweise die russische Annexion der Krim und die weiteren Übergriffe auf die Ostukraine. Die Vereinigten Staaten haben kaum ökonomisches Interesse an der Ukraine. Wir sind uns der vielschichtigen und tiefgreifenden geschichtlichen Bande zwischen Russland und der Ukraine bewusst. Dennoch können wir nicht einfach zusehen, wenn so eklatant gegen die Souveränität und die territoriale Integrität eines Landes verstoßen wird. Wenn das in der Ukraine folgenlos bleibt, dann könnte das jedem Land passieren, das heute hier vertreten ist. Das ist die Grundlage der Sanktionen, die die Vereinigten Staaten und unsere Partner gegen Russland verhängen – nicht der Wunsch nach einem neuen Kalten Krieg.“

Gehen wir hier mal nicht auf die Lügen und Halbwahrheiten ein, sondern versuchen uns im „zwischen den Zeilen“ lesen. Nachdem vor einem Jahr von maßgeblichen Politikern der USA allen ernstes behauptet wurde, die USA hätten KEINE Interessen in der Ukraine, heißt es jetzt KAUM Interesse. Abseits der Lügen ist die Sprache auch von einem gewissen Verständnis für die russischen Interessen geprägt, die plumpe hasstriefende Hetze ist gewichen. Die USA tasten sich gewissermaßen im Schneckentempo an die Realität heran, ein weiteres fragiles, aber trotzdem Hoffnung machendes Zeichen für die Einkehr von Vernunft im Weißen Haus. Es verwundert natürlich nicht, dass auch Wladimir Putin zum Thema Ukraine etwas zu sagen hatte. Die Worte sprechen für sich und bedürfen keiner weiteren Kommentierung:

„Bedauerlicherweise sind einige unserer Kollegen noch in der Denkweise des Kalten Krieges befangen und im Begehren, neue geopolitische Räume zu erobern. … Zuerst setzen sie ihre Politik der NATO-Expansion weiter fort – man muss sich darüber wundern, denn der Warschauer Vertrag existiert schon längst nicht mehr, und die Sowjetunion hat sich aufgelöst. Dennoch expandiert die NATO weiter, einschließlich ihrer militärischen Infrastruktur.“

„Früher oder später musste diese Logik der Konfrontation eine größere geopolitische Krise entzünden. Und genau das ist in der Ukraine geschehen, wo die weitverbreitete Unzufriedenheit der Menschen mit der Regierung dazu genutzt wurde, aus dem Ausland einen Staatsstreich anzuzetteln. Das hat einen Bürgerkrieg ausgelöst. Wir sind davon überzeugt, dass der einzige Weg aus dieser Sackgasse die umfassende und sorgfältige Umsetzung der Minsker Vereinbarungen vom 12. Februar 2015 ist. Die territoriale Unversehrtheit der Ukraine kann weder durch Androhung von Gewalt noch durch militärische Gewalt gesichert werden, aber sie muss gesichert werden. Die Rechte und Interessen der Menschen des Donbass sollten ernsthaft einbezogen und ihre Wahl respektiert werden; sie sollten an der Gestaltung der Schlüsselelemente des politischen Systems des Landes beteiligt werden, gemäß den Vorgaben der Minsker Vereinbarungen.“

Fazit

Eine Schwarz-Weiß Malerei bei der Betrachtung der Reden beider Staatsmänner ist wenig hilfreich, wie im Leben allgemein. Ersichtlich war, dass der russische Präsident mit einer klaren Agenda in die USA flog. Einer Agenda, die von den Spitzen der russischen Politik umfassend mitgetragen wird. Dabei kann sich Putin auch einer großen Unterstützung im Volk sicher sein. Und selbst die Oligarchen des kapitalistischen Russlands „ziehen mit“, sie haben offenbar begriffen, dass sie bei einer Schwächung Russlands durch die USA keinesfalls zu den Gewinnern gehören werden.

Russlands Fähigkeiten haben sich in den vergangenen 15 Jahren auf allen Gebieten signifikant entwickelt, ungeachtet vieler noch ungelöster Probleme. Eine wirklich nennenswerte Oppostion sucht man vergeblich, nicht weil diese unterdrückt würde, wie westliche Massenmedien uns das glaubhaft machen wollen, nein sie hat schlicht keine Basis im Volk, welches nach der desaströsen Jelzin-Ära heute zu großen Teilen in vergleichsweise guten sozialen Verhältnissen lebt und zu gewissem Wohlstand gekommen ist. All dies merkte man der Rede Putins an, die eine klare Sprache und verständliche schlüssige Botschaften enthielt.

Barack Obama hatte es schwerer, musste er doch einen Spagat zwischen den verschiedenen Machtblöcken der US-Politik hinlegen und damit verhindern, die jeweiligen Protagonisten zu sehr vor den Kopf zu stoßen. Die Neokonservativen in den USA wurden nie wirklich entmachtet und setzten seit 2008 die Ära Bush Jr. im Hintergrund fort. Dass Obama diese Politik ablehnt, kürt ihn zwar nicht zum Friedensengel, trotzdem ist es angebracht, seine Rolle in der großen Politik differenziert zu betrachten.

Obama beschwor wiederholt die Stärke und Einzigartigkeit seines Landes und weiß aber auch, dass dessen Bedeutung als Welt-Hegemon schwindet. Das versucht er bei aller Widersprüchlichkeit in seiner Politik zu berücksichtigen. Sollte es ihm und seinen Nachfolger gelingen, die Kriegstreiber in Schach zu halten, hinter denen ein mächtiges Konglomerat aus Bankern, Wirtschaftseliten und Organisationen steht, darf man all das bereits als erfolgreiche Realpolitik würdigen. Mehr Hoffnung erscheint angesichts der immer gravierenderen Probleme des Weltfinanz- und Wirtschaftssystems dann doch übertrieben.


Quellen

[blau eingefärbt] Amerika Dienst; 1.10.2015; Obama bei der Generalversammlung der Vereinten Nationen; http://blogs.usembassy.gov/amerikadienst/2015/10/01/obama-unga/#more-9021; Originalquelle: the White House, President Obama, Speeces & Remarks; Remarks by President Obama to the United Nations General Assembly; 28.9.2015; https://www.whitehouse.gov/the-press-office/2015/09/28/remarks-president-obama-united-nations-general-assembly

[rot eingefärbt] Rede Putins vor der UN-Vollversammlung; Übersetzung Dagmar Henn; 29.9.2015; http://vineyardsaker.de/video/rede-putins-vor-der-un-vollversammlung/#more-4148; Originalquelle: Speech of Russian President Vladimir Putin to the 70th General Assembly (Updated with transcript!); 28.9.2015; The Saker; http://thesaker.is/un-70th-general-assembly-live-vladimir-putin-speech/, entnommen dem Live-Mitschnitt  von Russia Today

[1] Analyse: Obama und Putin vor UN-Vollversammlung; yahoo; 28.9.2015; https://de.nachrichten.yahoo.com/analyse-obama-und-putin-vor-vollversammlung-080408327.html

[2] Analyse: Obama und Putin vor UN-Vollversammlung; Süddeutsche Zeitung; 28.9.2015; http://www.sueddeutsche.de/news/politik/international-analyse-obama-und-putin-vor-un-vollversammlung-dpa.urn-newsml-dpa-com-20090101-150928-99-02583

[3] Analyse: Obama und Putin vor UN-Vollversammlung; Münchner Abendzeitung; 28.9.2015; http://www.abendzeitung-muenchen.de/inhalt.un-vollversammlung-in-new-york-syrien-konflikt-treffen-zwischen-obama-und-putin.a654b863-52f1-421f-8dc7-d1052e24d5f7.html

[4] Analyse: Obama und Putin vor UN-Vollversammlung; 28.9.2015; http://www.welt.de/newsticker/dpa_nt/infoline_nt/thema_nt/article146936506/Obama-und-Putin-vor-UN-Vollversammlung.html

[5] Geschäftsordnung der Generalversammlung; UN; September 2007; S.67, P.48, Z.148; http://www.un.org/depts/german/go/gv/a520rev17.pdf

[6] Welthungerbericht; Deutsche Gesellschaft für die Vereinten Nationen e.V.; 12.10.2011; http://www.dgvn.de/meldung/welthungerbericht-2011-schwankende-preise-und-wachsender-hunger-kopie-1/

[7] Avaaz.org und der geheime Informationskrieg um Syrien; Friederike Beck; 23.4.2012; https://zeitgeist-online.de/exklusivonline/dossiers-und-analysen/880-avaazorg-und-der-geheime-informationskrieg-um-syrien.html

[8] Seit 1945: sechs Millionen Tote in US-Kriegen; Iganz Staub; 9.1.2012; https://www.journal21.ch/seit-1945-sechs-millionen-tote-in-us-kriegenOpferzahlen nach dem 2.WK

[9] [14] 1984; George Orwell; Online ebook;  https://archive.org/details/GeorgeOrwell-1984romanDeutsch

[10] [13] Syrien und die Hetze deutscher Medien; Kap. Grenzverletzung durch einen US-Senator; 3.4.2015; Peds Ansichten; http://peds-ansichten.de/2015/04/syrien-und-die-hetze-deutscher-medien/

[11] US-Rüstungsindustrie profitiert vom IS-Terror; n-tv; 18.10.2014; http://www.n-tv.de/politik/US-Ruestungsindustrie-profitiert-von-IS-Terror-article13805071.html

[12]  Die Krim Krise – Ursachen und Hintergründe; Peds Ansichten; 3.4.2015; http://peds-ansichten.de/2015/04/die-krim-krise-ursachen-und-hintergruende-2/

[15] Außenpolitisch ist Barack Obama eine Niete; Lord Weidenfeld; 4.3.2014; http://www.welt.de/debatte/kolumnen/Weltlage/article125425433/Aussenpolitisch-ist-Barack-Obama-eine-Niete.html

[16] Neo-Konservative wollen Kurs gegen Putin verschärfen; 7.7.2014; Deutsche Wirtschaftsnachrichten; http://deutsche-wirtschafts-nachrichten.de/2014/07/07/usa-neo-konservative-wollen-kurs-gegen-putin-verschaerfen/

[17] Die Kriege der USA; Toms Wochenschau; 15.3.2008; https://tomswochenschau.wordpress.com/2008/03/15/die-kriege-der-usa/

[b1] Putin und Obama bei der 70.UN-Vollversammlung in New York; Reuters, SBS-Radio

Von Ped