Aus Ludwig Watzals Buch „Feinde des Friedens“.


Der zionistische Gedanke – das ideologisch sich selbst verschaffte Recht, das Land Zion besiedeln zu dürfen – war von Beginn an mit einer bewusst und berechnend durchgeführten Landnahme auf Kosten der eingesessenen arabischen Bevölkerung verbunden. Damit wurde dem heutigen israelisch-palästinensischen Konflikt der Boden bereitet.


Der Titel dieses Artikels entspricht dem des ersten Teiles von „Kapitel 1: Geschichte Palästinas und Israels“ aus Ludwig Watzals Buch „Feinde des Friedens“. Vorab an dieser Stelle mein herzlicher Dank an Ludwig Watzal, der mir die Wiedergabe längerer Auszüge aus seinem Buch hier auf dem Blog genehmigte. (Ped)


Der bilaterale Konflikt zwischen Israelis und Palästinensern begann mit dem zionistischen Machtanspruch und der „zionistischen Landnahme“ (Dan Diner) in Palästina vor mehr als hundert Jahren. Dieser Konflikt kann nur im Zusammenhang mit dem Imperialismus und Kolonialismus am Ende des 19. Jahrhunderts adäquat beurteilt werden.

Die Sehnsucht der Juden, nach „Zion“ zurückzukehren, drückt sich im Achtzehnbittengebet und im Abschiedsgruß nach jedem Pessachfest aus: nächstes Jahr in Jerusalem. Im Zionismus verband sich dieser Wunsch mit einem politischen Programm.

Auf dem ersten Zionistenkongreß 1897 in Basel stellte Theodor Herzl das nationalistisch-politische Programm für einen unabhängigen „Judenstaat“ vor. Er war der Überzeugung, die Judenfrage könne nicht durch Verschmelzen der Juden mit anderen Völkern gelöst werden. 

Als einer der Vordenker des modernen Zionismus gilt Moses Hess. Wegen des latenten Antisemitismus und des sich in den europäischen Industriestaaten verstärkenden Nationalismus hatte er 1862 als einer der ersten den Aufbau eines eigenen Staates der Juden in ihrem angestammten Land Palästina gefordert. Hess, ein Zeitgenosse von Karl Marx, verband als tiefgläubiger Jude sozialistische Ideen mit der Ethik des Judentums zu einem aufgeklärten Nationalismus. Seine Idee, eine jüdische Bauern- und Arbeiterschaft aufzubauen (1), hat die Entwicklung Israels über Jahrzehnte geprägt.

Die westliche Christenheit betrachtete die Araber als „Fremde“ im „heiligen Land“. Ihre „symbolische Enteignung“ korrespondierte mit der kolonialen Attitüde, alles Land in Besitz zu nehmen, das von „niemandem“ beansprucht wurde. Für einen Mann wie den amerikanischen Präsidenten Woodrow Wilson stellte sich die Rückkehr der Juden nach Palästina als die Erfüllung der biblischen Prophezeiungen dar. Demzufolge unterstützte er das zionistische Projekt nach Kräften.

Die Forderung nach einer Emanzipation der Juden war zunächst ein westeuropäisches Phänomen, das paradoxerweise das Übel des modernen Antisemitismus hervorbrachte. Den Begriff Antisemitismus hat Wilhelm Marr 1879 zur Unterscheidung vom traditionell-religösen Judenhass geprägt, dessen Wurzeln weit in die Geschichte zurückreichen. „Der Jude“ stellte für den modernen Antisemitismus den Inbegriff des Negativen dar. Ein zum Christentum übergetretener Jude gilt für diese Form des Antisemitismus weiterhin als Jude. Sie wendet sich gegen assimilierte wie auch gegen nichtassimilierte Menschen jüdischen Glaubens.

Im Osten hatte die Emanzipationsfrage zunächst keine Bedeutung, da die religiösen Kreise eine solche ablehnten. Als es infolge der Pogrome schließlich ebenfalls zu einer Emanzipationsbewegung kam, überwog das jüdisch-nationale Element. Diese Bewegung nannte sich „Aufklärung“.

Einer der führenden Männer dieser Bewegung war Peres Smolenskin. Er fürchtete die Assimilation und lehnte eine Verflechtung mit der westlichen Kultur ab. Die von ihm in Wien gegründete Zeitung „Die Morgenröte“ sollte bald zum führenden Organ der neuen zionistischen Bewegung werden. In seiner Programmschrift „Ewiges Volk“ wandte er sich sowohl gegen das Reformjudentum, das das Judentum zur Konfession degradierte, als auch gegen die in Gesetzesritualen erstarrte religiöse Orthodoxie. Für ihn war die Religion das nationale Bindeglied des jüdischen Volkes, das er auch als Volk des Geistes charakterisierte. Die geistige Wiedergeburt betrachtete er als das Entscheidende.

Nach der Ermordung Zar Alexanders II. kam es zu Pogromen in Russland. Daraufhin wanderten osteuropäische Juden in größerer Zahl nach „Zion“ aus, nach Westeuropa kamen weniger. Diese gefährdeten die Assimilation des westeuropäischen Judentums. Insbesondere das jüdische Großbürgertum ging zu seinen „Glaubensbrüdern“ auf Distanz. Sir Edwin Montagu bekannte, daß ihn mit den Juden anderer Länder nur die Religion verbinde: „Ich stelle fest, dass es keine jüdische Nation gibt“, so der Engländer.

Mehr Resonanz als Moses Hess hatte Leo Pinsker mit seiner Schrift »Autoemanzipation«, die im Pogromjahr 1882 erschien (2). Darin wandte sich der Arzt aus Odessa gegen die Assimilation und sprach sich für die Gleichberechtigung des jüdischen Volkes aus, das vor allem wieder eine Nation werden müsse. Nur durch eine Autoemanzipation könne dieses Ziel erreicht werden. Dabei ging es ihm zunächst nicht um eine bestimmte territoriale Lösung. Erst unter dem Einfluss der „Zionsfreunde“ (Chowewe Zion) befürwortete er die Auswanderung und die Besiedelung Palästinas. Mit dem Bau von Rishon le Zion im Jahre 1882 nahm das zionistische Siedlungsprojekt seinen Anfang. Zu dieser Zeit lebten rund 25.000 Juden unter einer halben Million Arabern in Palästina.

Erst mit der Veröffentlichung von Theodor Herzls programmatischer Schrift „Der Judenstaat“ (3) wurde der politische Zionismus begründet, der dezidiert die Schaffung eines unabhängigen jüdischen Staates zum Ziel hatte. Dies war auch eine Reaktion der jüdischen Eliten auf die Auflösung traditioneller jüdischer Werte – man entdeckte quasi den verschütteten nationalen Charakter des Judentums. Nur ein jüdisch-politisches Gebilde „in Palästina oder irgendwo auf diesem Planeten“ könne die jüdische Frage lösen.

Herzl erhielt vom ersten Zionistenkongreß 1897 in Basel, wo auch die „Zionistische Weltorganisation“ ins Leben gerufen wurde, den Auftrag, mit den europäischen Regierungen über die Überlassung eines Territoriums für den Judenstaat zu verhandeln. Die Judenfrage war für ihn eine nationale Frage, die nur durch die Schaffung eines eigenen Staates zufriedenstellend gelöst werden konnte. Auf der Baseler Versammlung wurde die „Schaffung einer öffentlich-rechtlichen Heimstätte“ für das jüdische Volk in Palästina beschlossen.

Prophetisch schrieb Herzl in sein Tagebuch: „In Basel habe ich den Judenstaat gegründet.“ Damit war die Alternative einer völligen Anpassung der Juden an die Völker, die Walther Rathenau in seiner Broschüre „Höre Israel“ (1897) empfohlen hatte, negativ entschieden. Herzls Strategie wurde nun zielbewusst und systematisch verfolgt.

Der Zionismus trug die messianischen Erlösungsvorstellungen nicht mehr in einer religiösen Terminologie vor, sondern bediente sich dazu politischer Begriffe. Seine Absicht war es nicht, die tradierte jüdische Kultur bloß fortzuführen, er wollte sie radikal erneuern. Deshalb widersetzten sich die Ultra-Orthodoxen den Zionisten und warfen ihnen vor, mit ihrem Programm die messianische Zukunft antizipieren zu wollen. Dieser Vorwurf prallte aber an Herzl ab. Ein wichtiges konstituierendes Element in seiner und anderer Zionisten Vorstellungen nahm der Antisemitismus ein. Beispielsweise vertrat Alfred Lilienthal die Ansicht, daß es die Aufgabe des Rabbinats, jüdischer Nationalisten und Gemeindevertreter sei, das Vorurteil wachzuhalten (4).

Die jüdische Identität wurde demnach von Beginn an negativ bestimmt. Für die Geburt Israels war die Idee des Zionismus notwendig. Er kann jedoch nur angemessen gewürdigt werden, wenn man seine Opfer, die Palästinenser, mit berücksichtigt. Denn mit der Umsetzung der Idee des Zionismus begann auch die Tragödie des palästinensischen Volkes. Die zionistische Nationalbewegung entstand just zu dem Zeitpunkt, als sich der westliche Kolonialismus anschickte, die Welt in Einflusssphären aufzuteilen. Beide gingen eine Verbindung ein.

Insbesondere der britische Imperialismus unterstützte die Zionisten in ihrem Verlangen, in Palästina eine „Heimstätte“ zu errichten, weil er seine Herrschaft im arabischen Raum gegenüber den anderen Kolonialmächten konsolidieren wollte. Ein weiteres gemeinsames Anliegen dieser Allianz war die Spaltung des arabischen Raumes. Wenn die zionistische Bewegung und der europäische Kolonialismus auch vieles gemeinsam hatten, so gab es allerdings einen fundamentalen Unterschied: War es die „Mission“ der Kolonialisten, den vermeintlich kulturell unterentwickelten Völkern die Segnungen der westlichen Kultur zu bringen, so beinhaltete die Motivation der zionistischen Bewegung, die Gründung eines jüdischen Staates, die Verdrängung eines anderen Volkes.

Wie wurde das zionistische Kolonialprojekt aber umgesetzt? Das Land wurde durch den jüdischen Nationalfonds erworben und nur an Juden verpachtet: Die „jüdische Arbeit“ und der Kauf von „jüdischer Ware“ wurden propagiert, was einen Boykott von arabischen Produkten bedeutete. Die entsprechenden Parolen lauteten: jüdischer Boden, jüdische Arbeit, jüdische Waren. Der Zionismus brachte nicht nur eine erhebliche Benachteiligung für die arabische Bevölkerung mit sich, sondern verursachte auch ein Schisma innerhalb der jüdischen Zivilisation selbst: zwischen säkularen Nationalisten und religiösen Juden.

Er führte ein ethnozentrisches Wertesystem in eine Kultur ein, die auf einem monotheistischen Gottesglauben beruhte. Diese Spaltung innerhalb der Judenheit führte zu der zionistischen Bewegung, die letztendlich einen ethnozentrischen Staat für die Juden schuf. Die Konsequenz dieser Entwicklung, die sich völlig von der jüdischen Kultur losgesagt hat, hat Asher Ginzburg unter seinem Pseudonym Ahad Ha’am formuliert. Seine Vorstellungen sind in Israel nicht unbekannt, werden aber nicht rezipiert. Er hat darauf hingewiesen, dass ein zionistischer Staat, der nicht auf der jüdischen Kultur basiert, ein Staat wie Deutschland oder Frankreich werde, nur dass er von Juden bewohnt sei.

Einen solchen Staat habe es schon einmal zur Zeit des Königs Herodes gegeben. In diesem „Staat der Juden“ wurde die jüdische Kultur zurückgewiesen und verfolgt. Ebenso könne Herzls „Judenstaat“ keine jüdische Kultur hervorbringen, weil die Juden dort so sein wollten „wie alle anderen Völker auch“. Somit ermangelten seiner Idee jene kulturellen Eigenschaften des historischen Judentums. Dieser Einwand Ha’ams wird heute von der ethnozentrischen Variante des Zionismus umgesetzt, die darauf pocht, dass das jüdische Volk nicht wie die anderen Völker sei.

Bereits 1913 schrieb Ha’am in einem Brief an einen Siedler, in dem er das Verhalten der Zionisten gegenüber den Arabern kritisierte: „Wenn dies der ‚Messias‘ sein soll, wünsche ich nicht, dass er kommt.“

Bis heute wird die Frage diskutiert, ob Herzl oder den anderen zionistischen Vertretern die Existenz der Araber nicht bekannt war oder für irrelevant erachtet wurde. Agierten Herzl und seine Unterstützer in einem politischen Vakuum? Dass das Problem Herzl und anderen unbekannt war, kann heute wohl niemand mehr behaupten. Es war wohl eher eine Kombination von kultureller Überheblichkeit, Ignoranz und Zeitgeist, die eine unselige Allianz eingingen. Als Max Nordau erfuhr, dass in Palästina Araber leben, soll er zu Herzl gesagt haben: „In Palästina gibt es ja Araber! Das wusste ich nicht! Wir begehen also ein Unrecht.“

Der politische Slogan von Israel Zangwill „Ein Land ohne Volk, für ein Volk ohne Land“ traf ganz den expansionistischen Zeitgeist der Epoche. Er sollte einer der zionistischen Geschichtsmythen sein, die bis heute tradiert werden. Ahad Ha’am schrieb 1891 nach seiner Rückkehr aus Palästina in dem Artikel „Wahrheit aus Palästina“, dass das Land nicht leer sei und man kaum unbearbeitetes Land finde.

„Sollte einmal die Zeit kommen, wo sich das Leben unseres Volkes in einem solchen Ausmaß entwickelt hat, dass wir in einem kleineren oder größeren Ausmaß die einheimische Bevölkerung verdrängen werden, glaube ich, dass sie nicht so einfach ihren Platz räumen werden.“

Ha’am sah also die Unvermeidbarkeit des Konfliktes zwischen der zionistischen Kolonisierung und den einheimischen Palästinensern voraus. In dessen Folge kam es in Palästina zu einem Zusammenprall zweier säkularer Nationalismen: des jüdischen und des arabisch-palästinensischen. Dieser Nationalismus wird heute mehr und mehr vom jüdischen und islamischen Fundamentalismus verdrängt beziehungsweise instrumentalisiert.

Nach Aussagen führender Vertreter der zionistischen Bewegung gab es keinen Zweifel, was mit der einheimischen Bevölkerung geschehen sollte. Israel Zangwill stellte sich vor,

„die eingesessenen Stämme entweder mit dem Schwert zu verjagen, wie das unsere Vorfahren getan haben, oder mit dem Problem zu kämpfen, das eine große, fremde Bevölkerung darstellt“ (5).

Auch die Idee eines Transfers wurde bereits von Herzl in seinem Tagebuch vorgeschlagen.

„Die arme Bevölkerung trachten wir unbemerkt über die Grenze zu schaffen, indem wir ihr in den Durchzugsländern Arbeit verschaffen, aber in unserem eigenen Lande jederlei Arbeit verweigern. Die besitzende Bevölkerung wird zu uns übergehen. Das Expropriationswerk muß – ebenso wie die Fortschaffung der Armen – mit Zartheit und Behutsamkeit erfolgen. Die Immobilienbesitzer sollen glauben, uns zu prellen, uns über den Wert zu verkaufen, aber zurück verkauft wird ihnen nichts.“ (6)

Dass die zionistische Bewegung nicht mit lauteren Motiven in Palästina siedeln wollte, verdeutlicht schon die Aussage David Ben-Gurions, des ersten Ministerpräsidenten Israels, aus dem Jahre 1937:

„Das Land ist in unseren Augen nicht das Land seiner jetzigen Bewohner … Wenn man sagt, dass Eretz Israel das Land zweier Nationen sei, so verfälscht man die zionistische Wahrheit doppelt … Palästina muss und soll nicht die Fragen beider Völker lösen, sondern nur die Frage eines Volkes, des jüdischen Volkes in der Welt.“ (7)

Herzl setzte sich niemals mit den historischen Ansprüchen der Palästinenser auseinander. Die Zionisten wollten also von Beginn an das Land nicht mit der einheimischen Bevölkerung teilen, sondern stellten die Präsenz der Araber generell in Frage.

Das Ergebnis dieser Haltung ist eine exklusive Ideologie, die eine nichtjüdische Bevölkerung als überflüssig ansieht. Ein solches Bewusstsein ist sehr anfällig für die Idee eines Bevölkerungstransfers oder einer Ausweisung. In dieser Denkschule, die bis heute sehr einflussreich ist, hat der israelisch-arabische Konflikt keinen Platz, sondern die Araber werden nur als überflüssige Minorität wahrgenommen.

Netanyahu erklärte in einer Rede an der Bar-Ilan Universität am 19. November 1989, die Israelis hätten während des Massakers der Chinesen auf dem Platz des Himmlischen Friedens in Peking die Gelegenheit nutzen sollen, um die Palästinenser zu vertreiben, „weil die Gefahr relativ klein gewesen wäre“ (8).

Der Wissenschaftler Nur Masalha dokumentiert, wie weit dieses rassistische Denken in der politischen Klasse Israels verbreitet ist; selbst Teile der Wissenschaftler äußern solche Meinungen. Auch David Ben-Gurion war ein entschiedener Verfechter eines Transfers, wie der Historiker Benny Morris nachgewiesen hat.

Über die Größe des von der zionistischen Bewegung beanspruchten Landes gab es unterschiedliche Vorstellungen. Je nach politischer Auffassung und den politischen Umständen wurden und werden noch heute ganz verschiedene Grenzverläufe angegeben. So wollte Max Nordau die »Grenzen Europas bis an den Euphrat« ausdehnen. Auf der Versailler Friedenskonferenz schlug die zionistische Organisation vor, den Süden des Libanon, Teile Syriens, entlang der Hedscha-Bahn nach Jordanien sowie einen Teil des Sinai bis Al Arish als „Heimstätte“ zu erhalten.

Es gab aber auch Stimmen, die ein Palästina wie zu Davids oder Salomons Zeiten forderten. Herzl soll gegenüber Reichskanzler Chlodwig Fürst zu Hohenlohe-Schillingsfürst gesagt haben, „wir verlangen, was wir brauchen, gemäß unserer Bevölkerung“. Dies scheint bis heute ein Leitmotiv israelischen Expansions- und Siedlungsstrebens geblieben zu sein. Bis in die jüngste Zeit hinein hat Israel keiner eindeutigen Grenzziehung zugestimmt beziehungsweise keine genaueren Angaben über seine zukünftigen Grenzen gemacht.

Was ist eigentlich Zionismus? Der Zionismus beruht auf drei Grundannahmen:

  1. Die Juden sind ein Volk und nicht nur eine Religionsgemeinschaft. Deshalb ist die Judenfrage eine
    nationale Frage.
  2. Der Antisemitismus und die daraus resultierende Judenverfolgung stellen eine latente Gefahr für die Juden dar.
  3. Palästina (Eretz Israel) war und ist die Heimat des jüdischen Volkes.

Von Beginn der zionistischen Kolonisation an war das Ziel, eine jüdische Mehrheit in Palästina anzustreben. Für Vladimir Jabotinsky, den Vorsitzenden der revisionistischen Richtung des Zionismus, war das Erreichen einer jüdischen Mehrheit das Hauptziel des Zionismus, da der Terminus „Jüdischer Staat“ eine jüdische Mehrheit impliziere. Palästina werde in dem Augenblick ein jüdisches Land, wenn es eine jüdische Mehrheit habe.

Ironisch merkte Jabotinsky an, die Palästinenser hätten wohl nicht die richtige Vorstellung von dem zionistischen Unternehmen. Wie sich aus den Reaktionen der Palästinenser vor Ort ersehen lässt, hatten sie die wahren Intentionen des Zionismus sehr wohl begriffen. Gegen die Landnahme richtete sich von Beginn an Protest und Widerstand, der bis heute andauert.

In diesem Widerstand liegt auch die Ursache des palästinensischen Nationalismus, dessen Ursprünge Rashid Khalidi bereits auf das Jahr 1908 datiert. Das zionistische Siedlungsprojekt stieß bei den Bauern auf heftigen Widerstand, und dies führte auch zu einer Mobilisierung der städtischen Mittelschichten. Die ersten palästinensischen Zeitungen wie „Al-Quds“ warnten vor dem Zionismus als einer Gefahr für die „palästinensische Nation“ und das „palästinensische Land“. Die zionistische Besiedlung würde zwangsläufig die einheimische Bevölkerung aus ihrem Land drängen (9).

Um die Landnahme und ihre Rückkehr zu begründen, bediente sich die zionistische Bewegung einer einheitlichen Geschichtsinterpretation, nach der die heutigen Juden die Nachfahren der Hebräer seien. Dies konnte jedoch auch von jüdischen Anthropologen bisher nicht bewiesen werden. Dass die Juden und nicht die Araber die Ureinwohner Palästinas sind, lässt sich ebenfalls nicht belegen. Nur teilweise ist richtig, dass die Juden illegal vertrieben wurden, weil viele Juden Palästina aus ökonomischen Gründen vor ihrer Vertreibung durch die Römer verlassen hatten.

Darüber hinaus wurden immer wieder religiöse Hilfsargumente verwendet, um den Zionismus zu untermauern und ihm damit Legitimität zu geben. Für viele waren diese Argumente nicht Ideologie, sondern Realität.

Wie weit diese Legendenbildung geht, zeigt das Buch von Joan Peters. Sie spricht den Arabern jegliches Existenzrecht in Palästina ab. Das Land sei leer gewesen, sie hätten ihre Genealogie gefälscht, so ihre unhaltbaren Behauptungen. (10) Norman G. Finkelstein zählt dieses Werk, das in den USA als bahnbrechend gefeiert wurde, zu den „spektakulärsten Betrügereien, die jemals zum arabisch-israelischen Konflikt veröffentlicht worden sind“ (11).

Die Zionisten beschreiben die Palästinenser als Araber, die erst kürzlich nach Palästina aufgrund der von den Siedlern geschaffenen Möglichkeiten eingewandert seien. Diesen Mythos wiederholte auch der ehemalige Ministerpräsident Israels, Benjamin Netanyahu: „Viele Araber immigrierten nach Palästina als Antwort auf die Zunahme der Arbeitsplätze, die von den Juden geschaffen wurden.“

Selbst den Zangwillschen Mythos vom Land ohne Volk wiederholte Netanyahu bei seinem Staatsbesuch in Österreich vom September 1997. Heute sei das „harte unbewohnte Niemandsland“ im Nahen Osten ein „moderner, dynamischer Staat“ (12). Was die Siedler tatsächlich einführten, waren rentablere Produktionsmethoden, denen die feudalistischen arabischen Verhältnisse deutlich unterlegen waren. In Wirklichkeit wurden die Palästinenser als „Rechtsbrecher“ angesehen, deren eigentliche Heimat in den arabischen Staaten sei. Folglich wurden sie als Verhandlungspartner nicht anerkannt.

Das Verhalten der ersten Kolonialisten gegenüber den Palästinensern beschrieb Ahad Ha’am nach seiner Rückkehr aus Palästina 1891 wie folgt:

„Sie meinen, die einzige Sprache, die die Araber verstünden, sei die Sprache der Gewalt. Ihr Verhalten ihnen gegenüber ist – milde gesagt – aggressiv. Sie greifen sie grundlos in ihren Dörfern an und sind stolz darauf, sie mit Tritten und Schlägen zu erniedrigen. Das ist der Ausdruck ihrer Wut darüber, dass sich ein anderes Volk in ›ihrem‹ Land befindet und nicht weichen will.“

Er warnte die zionistische Bewegung davor, die Araber zu verachten und sie wie Barbaren zu behandeln sowie ihre Interessen zu missachten.

Die zionistische Besiedlung brachte der einheimischen Bevölkerung den Verlust ihrer Heimat, die Vernichtung ihrer Gesellschaft, ihrer Kultur und Tradition sowie die Massenflucht in Flüchtlingslager. Die Folgen dieser Kolonisierung haben sich auf die Palästinenser bis heute verheerend ausgewirkt. Sie ging für die dort lebenden Palästinenser mit Chaos und Zerstörung einher. Die meisten der arabischen Bewohner verloren ihre Häuser, ihr Land, ihre Geschäfte und ihr Vermögen. Der Kolonisierungsprozess ruinierte die palästinensische Gesellschaft.

Hat der Zionismus durch die Vertreibung der Palästinenser von 1948 nicht seine ethische Legitimation verloren? Trotz enormer diplomatischer Fortschritte standen die meisten Juden dem Zionismus indifferent gegenüber.

Diese Haltung änderte sich erst, als die Nationalsozialisten den Antisemitismus als Herrschaftsinstrument benutzten und die Juden systematisch ermordeten. Der Zionismus machte sich die auf dem NS-Rassenwahn begründete Verfolgung und Ermordung von Juden zunutze und schloss daraus auf die ausweglose Lage der Juden allgemein. Der Antisemitismus erwies sich somit als ein konstituierendes Element des Zionismus. Er mache die Juden erst zu Juden und sei das »Lebenselixier« für die zionistische Bewegung, so Herzl. Ohne den Antisemitismus wäre der Zionismus wohl eine esoterisch-nationale Bewegung geblieben.

Neben dieser Sichtweise gibt es aber auch eine ökonomische Interpretation. Danach liegen die Ursachen der Judenfeindlichkeit nicht so sehr in der »Rasse«, Kultur oder ihrer Position als Minderheit begründet, sondern in den ökonomischen Bedingungen. Der aufstrebende Kapitalismus habe die Unterschiede zwischen den einzelnen Klassen vertieft. Dies habe zu neuen Ressentiments gegenüber den Juden geführt. Frustrationen seien auf die jüdische Minderheit anstatt auf die Verursacher der Misere projiziert worden. Die Machteliten hätten den Antisemitismus als Herrschaftsinstrument benutzt, um das Kleinbürgertum in seinem latenten Rassismus zu bestärken. Die Leidtragenden seien die Juden Europas.

Somit wäre nicht nur der Antisemitismus konstitutiv für den Zionismus. Dieser habe sich den Antisemitismus auch insofern zunutze gemacht, indem er behaupte, dass es außerhalb eines jüdischen Staates keine Emanzipation geben könne. Dieses „ewige Opfer-Image“ sei auch in Israel konstitutiv für die Identität des Staates geworden (13).

Nach Akira Orr wären die Zionisten nach einem Verschwinden des Antisemitismus nicht in der Lage, säkulares Judentum zu definieren und ihren Staat zu rechtfertigen. Somit habe der Zionismus keines der Probleme gelöst, die er ursprünglich habe beseitigen wollen.

Ohne die Hilfe einer Großmacht wäre die zionistische Bewegung nicht erfolgreich gewesen. Ein entscheidendes Dokument war die Erklärung von Lord Arthur James Balfour an Lord Walter Lionel Rothschild aus dem Jahre 1917. Sie war der Freibrief zur Schaffung eines jüdischen Staates, obwohl sie vom Standpunkt des Völkerrechts ohne Belang war. Es war eine einseitige Sympathieerklärung der britischen Regierung.

„Lieber Lord Rothschild, ich habe die große Freude, Ihnen im Auftrag der Regierung Seiner Majestät die folgende Sympathieerklärung für die jüdisch-zionistischen Bestrebungen zu übermitteln, die dem Kabinett vorgelegt und von ihm gebilligt wurde. ›Die Regierung Seiner Majestät betrachtet die Errichtung einer nationalen Heimstätte des jüdischen Volkes in Palästina mit Wohlwollen und wird keine Mühe scheuen, die Erreichung dieses Zieles zu fördern, wobei allerdings von der Voraussetzung ausgegangen wird, dass nichts geschieht, was den bürgerlichen und religiösen Rechten der in Palästina bestehenden nicht-jüdischen Gemeinschaft oder den Rechten und dem politischen Status der Juden in anderen Ländern Abbruch tun könnte.‹ Ich wäre Ihnen dankbar, wenn Sie diese Erklärung der zionistischen Föderation zur Kenntnis bringen wollten.“

Nach Meinung der Oxforder Historikerin Elisabeth Monroe war sie „eine der größten Fehler in unserer imperialen Geschichte“. Diese Erklärung suggerierte, dass es in Palästina eine überwiegend jüdische Bevölkerung und einige unbedeutende Minoritäten gebe. Doch diese unbedeutende Minorität (90 Prozent) lebte ununterbrochen seit 1300 Jahren in Palästina und besaß 97 Prozent des Landes. Die britische Regierung hatte keinerlei Recht, das Schicksal der einheimischen Bevölkerung zur Disposition zu stellen.

Dies wäre aber nicht so schlimm gewesen, wenn man das Recht auf Selbstbestimmung, das für andere „befreite Gebiete“ galt, auch für Palästina beachtet hätte. Dies geschah nicht zufällig, sondern bewusst:

„In Palästina schlagen wir noch nicht einmal vor, die Wünsche der augenblicklichen Bewohner auch nur in Betracht zu ziehen … Die vier Großmächte sind dem Zionismus verpflichtet. Mag der Zionismus richtig oder falsch, gut oder schlecht sein, er ist verwurzelt in einer langen Tradition, in den augenblicklichen Notwendigkeiten, in zukünftigen Hoffnungen, die von größerer Wichtigkeit sind als die Wünsche und die Nachteile von 700000 Arabern, die zur Zeit in diesem historischen Land leben“,

so Lord Balfour in einem Memorandum vom 11. August 1919 an seine Kabinettskollegen. Diese offene und teilweise rassistische Erklärung stellte die Spitze des Betruges an den Palästinensern dar.

Laut Balfour-Deklaration sollten der nicht-jüdischen, sprich arabisch-palästinensischen Gemeinschaft durch die Errichtung einer jüdischen Heimstätte keine Nachteile entstehen. Es gab keine rechtliche Begründung dafür, den Palästinensern neben den Juden nach dem Zusammenbruch des Osmanischen Reiches in dem seit 1922 bestehenden britischen Mandatsgebiet einen Staat zu verweigern. Als die Bewohner Palästinas waren sie die rechtmäßigen Erben des Osmanischen Reiches. Sie hatten eine gemeinsame Kultur, Sprache, Geschichte und zeichneten sich durch enge Familienbande aus. Ihre Ansprüche waren und sind die gleichen, die zu Recht heute die Kroaten, Slowenen, Litauer, Letten, Esten, Ukrainer und andere nationale Minderheiten anmelden.

Die palästinensische Identität basiert also nicht auf religiösen Ansprüchen, sondern auf einer eindeutig identifizierbaren palästinensischen Gemeinschaft. Diese berechtigten Ansprüche wurden aber durch die zionistische Bewegung konterkariert. Die Negierung einer nationalen palästinensischen Identität führte zwangsläufig zur Verweigerung des palästinensischen Selbstbestimmungsrechtes.

Martin Buber und Ernst Simon prophezeiten, dass der Zionismus mit der Behandlung und Akzeptanz der Araber stehe und falle. Solche Stimmen wurden von den Zionisten vehement zurückgewiesen und hatten auf den Entwicklungsprozess keinen Einfluss. Buber gehörte zu den ersten Mahnern des Zionismus und Israels. Auf dem 1921 in Karlsbad abgehaltenen Zionistenkongress forderte er einen gerechten Bund mit dem arabischen Volk:

„Wir verscherzen uns die echten und wertvollen Sympathien, wenn wir eine Methode, die wir bisher als unmenschlich brandmarkten, nun mehr dadurch, dass wir sie selbst üben, praktisch anerkennen … nicht außen, sondern mitten unter euch, breitet sich das eigentliche, das unüberwindliche Unheil aus.“

Die Kongressmehrheit drückte den Wunsch des jüdischen Volkes aus, mit dem arabischen Volk in Freundschaft und gegenseitigem Respekt zusammenzuleben und mit ihm die gemeinsame Heimat zu einem gedeihlichen Land zu entwickeln. Der Zionistenführer Arthur Ruppin forderte, dass Juden und Araber Seite an Seite gleichberechtigt leben sollten; jeglicher Herrschaftsanspruch wurde von ihm negiert. Wie wenig aufrichtig dies gemeint war, zeigte sich jedoch, als Ruppin sich wiederholt für eine hermetisch geschlossene jüdische Wirtschaft einsetzte (14).

Die zionistische Bewegung bemühte sich zunächst, ihre kolonialistischen Ziele rhetorisch zu verbrämen. Chaim Weizman erklärte 1918 in Jaffa, dass die Juden Schulter an Schulter mit den Arabern für Wohlstand in Palästina arbeiten wollten. Palästinensischen und syrischen Führern in Kairo versicherte er, dass der Zionismus nicht die Macht in Palästina anstrebe.

Auch vor der Peel-Kommission, die die britische Regierung im August 1936 eingesetzt hatte und die im November 1936 ihre Arbeit in Palästina aufnahm, gab sich Weizman kooperationsbereit und verwies auf die Balfour-Deklaration. Ihm und seinen Mitstreitern sei bekannt, dass die nichtjüdische Bevölkerung Palästinas nicht unterdrückt werden dürfe.

Für die nichtjüdische Bevölkerung stellte die Deklaration eine gewisse Garantie dar. Gleichzeitig verlangte Weizman aber einen Staat, der so „jüdisch“ sein sollte wie England englisch. Dieses Ziel wurde hartnäckig verfolgt. Weizman dazu vor der Peel-Kommission:

„Wir sind ein steifnackiges Volk und ein Volk mit langem Gedächtnis. Wir vergessen niemals … Wir haben Palästina niemals vergessen. Und die Standhaftigkeit, welche die Juden durch die Jahrhunderte und durch eine lange Kette unmenschlicher Leiden erhalten hat, ist in erster Linie jener psychologischen Anhänglichkeit an Palästina zu verdanken.“

Ernsthaft haben weder jüdische Siedler noch die britische Besatzungsmacht jemals den Versuch unternommen, zu einer einvernehmlichen Lösung mit den Arabern zu kommen oder deren Rechte auf einen eigenen Staat einzulösen. Man war sich durchaus bewusst, dass durch eine Berücksichtigung der arabischen Interessen Konflikte hätten vermieden werden können, wie der Brief des Schriftstellers Hans Kohn an Martin Buber von 1929 zeigt:

„Wir sind zwölf Jahre in Palästina, ohne auch nur einmal ernstlich den Versuch gemacht zu haben, uns um die Zustimmung des Volkes zu kümmern, mit dem Volk zu verhandeln, das im Land wohnt. Wir haben uns ausschließlich auf die Militärmacht Großbritanniens verlassen. Wir haben Ziele aufgestellt, die notwendigerweise und in sich selbst zu Konflikten mit den Arabern führen mussten und von denen wir uns sagen müssten, dass sie Anlass, und zwar berechtigter Anlass zu einem nationalen Aufstand gegen uns sind.“

Dieser sollte auch nicht lange auf sich warten lassen. Beim ersten Pogrom 1929 in Hebron wurden die dort lebenden Juden fast vollständig umgebracht. Aus Angst vor der beeindruckenden und gleichzeitig furchterregenden Entwicklung des jüdischen Yishuv (vorstaatliche Besiedelung Palästinas) kam es im April 1936 nach mehreren vorausgegangenen gewalttätigen Zwischenfällen zum Aufstand der Araber sowohl gegen die Mandatsmacht als auch gegen die zionistischen Siedler. Der arabische Antizionismus machte sich 1936 somit erstmals gewaltsam Luft.

Dazu hatte nicht unwesentlich der spätere Mufti von Jerusalem, Mohammad Said Amin al Hussaini, beigetragen, der von einem englischen Zionisten, dem ersten Hohen Kommissar Palästinas, Sir Herbert Samuel, ernannt worden war.

Dabei war die arabische Bevölkerung Palästinas nicht von Anfang an antizionistisch eingestellt. Noch im Jahre 1908 hatten alle Religionsgemeinschaften in Palästina den Erlass der muslimischen Regierung begrüßt, der eine größere politische und religiöse Entfaltungsmöglichkeit zuließ. Am 9. August desselben Jahres hatten alle Religionsgemeinschaften ihre heiligen Orte für die jeweils andere Glaubensgemeinschaft geöffnet.

Die gewaltsamen Auseinandersetzungen zwischen jüdischen Kampfeinheiten und einheimischer palästinensischer Bevölkerung auf der einen Seite und der Kampf gegen die britische Mandatsmacht auf der anderen gerieten Mitte der vierziger Jahre außer Kontrolle, so dass die Briten bereit waren, ihr vom Völkerbund erteiltes Mandat wieder abzugeben.

Die in Palästina kämpfenden jüdischen Einheiten – Hagana, Irgun Zwai Leumi und Lehi (Stern-Bande) – haben durch ihren Terror gegen die Palästinenser und die Briten mit ihren Befehlshabern einsame Berühmtheit erlangt. Die zwei späteren Ministerpräsidenten Israels, Menachim Begin und Yitzhak Shamir, wurden von der damaligen Mandatsmacht als „Terroristen“ steckbrieflich gesucht. Für ihre Aktionen stehen exemplarisch die Sprengung eines Teils des King-David-Hotels, in dem die Palästina-Regierung saß, und das Dorf Deir Yassin, in dem am 9. April 1948 ein Massaker an 250 arabischen Männern, Frauen und Kindern verübt wurde.

Die Araber übten schon einige Tage später Rache, als sie 77 Ärzte, Krankenschwestern und Wissenschaftler auf dem Weg zum Hadassah-Krankenkaus ermordeten. Menachem Begin, Einsatzleiter bei dem Massaker von Deir Yassin vertrat die Meinung, dass dieses „nicht nur seine Berechtigung hatte“, sondern dass es ohne den „Sieg“ von Deir Yassin „niemals einen Staat Israel gegeben“ hätte.

Als Palästina kurz vor einem Bürgerkrieg stand, wandten sich die Briten im Februar 1947 an die Vereinten Nationen, um der UNO die Entscheidung über die Fortsetzung des Mandats zurückzugeben. Am 29. November 1947 verabschiedete die Generalversammlung der Vereinten Nationen Resolution Nr.194, in der Palästina zwischen Arabern, die 90 Prozent des Landes besaßen, und Juden geteilt werden sollte. Zu diesem Zeitpunkt lebten in Palästina 1319.000 Araber und mehr als 589.000 Juden.

Zwar haben das Ausmaß des Holocaust und die Fluchtbewegungen jüdischer Überlebender aus Europa zweifellos den Staatswerdungsprozess beschleunigt. Doch gehe die Gründung Israels in erster Linie auf die „politische,   wirtschaftliche, gesellschaftliche und militärische Leistung seiner Gründer“ zurück, wie Michael Wolffsohn betont (15). Man sollte aber auch die massive Unterstützung der Briten und der USA nicht unberücksichtigt lassen.


Der Kampf der jüdischen Untergrundbewegungen war sowohl ein Antikolonialkrieg gegen die Briten als auch ein erneuter kolonialer Versuch, einen Staat gegen den Willen eines anderen Volkes auf dessen Territorium zu etablieren.


Die gesamte arabische Welt lehnte den Teilungsplan aus verständlichen Gründen ab, weil er das Recht der Palästinenser auf das ganze Land in Frage stellte und einen unschätzbaren Verlust an Rechten, Eigentum sowie politischen und sozialen Einrichtungen bedeutete. Die Araber bewerteten die jüdischen Ansprüche auf Palästina als rechtswidrige Inbesitznahme, als eine Form des Kolonialismus, die der ursprünglichen Bevölkerung ihr Recht auf einen Nationalstaat absprach. Dafür zeigte sogar David Ben-Gurion Verständnis, wie Nahum Goldmann berichtet:

„Wieso sollten denn die Araber Frieden schließen? Wenn ich arabischer Führer wäre, ich würde nie ein solches Abkommen mit Israel unterzeichnen. Das ist doch ganz normal: wir haben ihr Land genommen. Sicher, Gott hat es uns versprochen, aber wie kann sie das interessieren? Unser Gott ist nicht der ihre … Sie sehen nur eins: Wir sind gekommen und haben ihr Land geraubt. Warum sollten sie das hinnehmen?“

Die Palästinenser befürchteten, dieser Teilungsplan transformiere das „Judenproblem“ und den damit einhergehenden westeuropäischen Antisemitismus in den Nahen Osten. Angesichts der Kampfhandlungen zog die Generalversammlung der Vereinten Nationen den Teilungsplan weniger als sechs Monate nach seiner Annahme wieder zurück und unterbreitete einen Alternativvorschlag, der den Aufruf zu einer vorübergehenden Treuhänderschaft über das ungeteilte Palästina enthielt. Die Araber nahmen diesen Vorschlag an, die Zionisten lehnten ihn auf das heftigste ab.

Eine Sondersitzung der Versammlung wurde einberufen, um den Teilungsplan noch einmal in Erwägung zu ziehen. Während dieser Zeit nahmen die Zionisten die Sache selber in die Hand. Während die Briten ihr Mandat am 14. Mai 1948 beendeten, besetzten sie Stadt um Stadt. Die Bevölkerung floh entweder vor Schrecken oder wurde gewaltsam vertrieben. Dabei besetzten die zionistischen Streitkräfte nicht nur die Teile, die für einen jüdischen Staat vorgesehen waren.


Bis Mitte Mai 1948 hatten zirka 300.000 Araber das Land verlassen, ohne dass auch nur ein einziger arabischer Soldat aus den Nachbarstaaten Palästina betreten hatte.

Fortsetzung folgt.


Anmerkungen und Quellen

(Allgemein) Die Veröffentlichung dieses Textes erfolgte mit ausdrücklicher Genehmigung des Autors Ludwig Watzal. Alle Rechte zur Weiterverbreitung liegen ebenfalls bei Ludwig Watzal. Der Autor hat das Buch auf seiner Webseite vollständig als PDF zum privaten Herunterladen online gestellt.

(Allgemein) Feinde des Friedens; Ludwig Watzal; 2001; Aufbau-Taschenbuch-Verlag Berlin; ISBN 3-7466-8071-9; http://www.watzal.com/download/Watzal_fdf_Gesamt.pdf
(1) Vgl. Moses Hess, Ausgewählte Schriften. Köln 196
(2) Vgl. Leo Pinsker, Autoemanzipation. Berlin 1917.
(3) Vgl. Theodor Herzl, Der Judenstaat. Leipzig 1896.
(4) Vgl. Alfred Lilienthal, The Other Side of The Co in. New York 1970, S.184.
(5) Israel Zangwill, The Voice of Jerusalem. London 1920, S.88.
(6) Theodor Herzl, Tagebücher. Band 1, Berlin 1922, S.98.
(7) David Ben Gurion, Zionistische Außenpolitik. Berlin 1937, S.28.
(8) Nur Masalha, Imperial Israel and the Palestinians. The Politics of Expansion, London – New York 2000, S.90.
(9) Vgl. Rashid Khalidi, Palestinian Identity. The Construction of a Modern National Consciousness. New York 1977; vgl. zur Entstehung des palästinensischen Nationalbewusstseins Alexander Flores, Die Entwicklung der palästinensischen Nationalbewegung bis 1948, in: Helmut Mejcher (Hrsg .), Die Palästina-Frage 1917–1948, 2. Aufl., Paderbron 1993, S.89–122; ebenso Guido Quetsch, Auf dem Weg zur Nation. Die palästinensische Bewegung in den fünfziger und sechziger Jahren, Würzburg 2000.
(10) Vgl. Joan Peters, From Time Immemorial. New York 1984.
(11) Norman G. Finkelstein, Image and Reality of the Israeli-Palestine Conflict. London – New York 1995, S.22.
(12) Vgl dazu Akiva Orr, Israel: Politics, Myths and Identity Crisis. London – Boulder, Col. 1994, S.67; vgl. ders., Hundert Jahre Zionismus – eine Kritik. In: Hundert Jahre Zionismus. Befreiung oder Unterdrückung? Beiträge der Gegentagung zum Herzl-Jubiläum, hrsg. vom Verein Gegentagung zum Herzl-Jubiläum, Köln 1998, S.35–52.
(13) Die Zeit ist reif für normale Beziehungen. In: Süddeutsche Zeitung, 23. September 1997.
(14) Vgl. Arthur Ruppin, Dreißig Jahre Aufbau in Palästina. Berlin 1937.
(15) Michael Wolffsohn, Ewige Schuld? 40 Jahre Deutsch-Jüdisch-Israelische Beziehungen. München 1988.
(Titelbild) Jerusalem, Israel, Palästina; krystianwin (Pixabay); 17.1.2014; https://pixabay.com/de/photos/panorama-sunrise-jerusalem-3241421/; Lizenz: Pixabay License